Verlobung meiner Eltern

Vor 60 Jahren in Paris. Eine Zeitreise.
Verlobung in Paris - meine Eltern
Hochzeit meiner Eltern. Leider haben wir keine Fotos von der Verlobung, eine Zeit ohne Handys und Kameras on the go…

Die Flucht ins Ruhrgebiet

Mit achtzehn Jahren zog mein Vater aus Bad Bocklet weg. Weg aus der Enge des fränkischen Dorfes, der nachbarschaftlichen Kontrolle und dem unentwegten Urteil über individuelle Entscheidungen. Aber auch weg von den geliebten Wäldern, seinen Freunden, den Tieren. Achtzehn Jahre war er bei seiner Großmutter aufgewachsen, welche ihn nach dem frühen Tod seiner Eltern aufgezogen hatte. Als junger Mann hatte er das Leben auf dem Dorfe satt, wollte die freie Stadtluft schnuppern. Er kam bei seiner Tante Gretel unter, Schwester seiner verstorbenen Mutter, welche ihn herzlich in ihre Familie aufnahm. Bottrop wurde nun also zu seinem neuen Lebensmittelpunkt und es erschien ihm anfangs wie die große Freiheit. Er hatte sich durch gezieltes Fehlverhalten erfolgreich vom Gymnasium werfen lassen, um – wie seine Freunde – eine Lehre zu machen und Geld zu verdienen. In Bottrop arbeitete als Verkäufer in einem Fachgeschäft für Tapeten und Malerbedarf. Das war sein Lehrberuf, von dem er dachte, das wäre nun sein Leben. Doch es kam anders. Er begegnete meiner Mutter. Und feierte Verlobung.

Das erste Kennenlernen

Gretels Mann Willy war Lehrer an einer Volkschule, welche sich gegenüber seiner Wohnung befand. Als DDR -Flüchtling wurde sein dort abgeschlossenes Staatsexamen nicht anerkannt, er musste es in der BRD nochmals absolvieren und wollte die nun bestandene Prüfung gebührend feiern. Meine Mutter war seine junge Kollegin und als der Abend der Party nahte, verkündete Willy meinem Vater augenzwinkernd, dass auch ein paar attraktive junge Damen kämen. Die aktuelle Beziehung meines Vaters ignorierte er. Die Damen kamen und rissen sich um ihn. Aber mein Vater kam mit meiner Mutter ins Gespräch und blieb dabei, den ganzen Abend lang. Sehr zum Unmut der anderen Anwärterinnen.

Die Gastgeber Willi und seine Frau Gretel waren mit dem Abend sehr zufrieden. Mein Vater auch. Als er allerdings äußerte, dass er die Ingeborg gerne wiedersehen würde, bemerkte Willi, dass eine Lehrerin und ein Verkäufer kaum zusammenpassen würden. Mein Vater war sehr gekränkt, waren doch ihm und auch meiner Mutter gesellschaftliche und berufliche Standesunterschiede völlig fremd. Zwei Wochen später ging mein Vater wieder in seine Stammkneipe, um sich zu den Bergleuten zu stellen und mit ihnen ein Bier zu trinken. Er muss meiner Mutter gegenüber diese Kneipe wohl erwähnt haben, denn plötzlich sah er in den glänzenden Zapfhähnen eine Spiegelung: Da saß sie, die Ingeborg, hatte wohl ein bisschen gehofft, der Wolfgang möge aufkreuzen… Sie setzten sich nebeneinander und unterhielten sich, bis die Kneipe schloss. Meine Eltern blieben von diesem Tag an zusammen.

Trennung vom Alten

Mein Vater trennte sich von seiner Freundin, welche ihn eigentlich heiraten wollte, sie nahm es sehr schwer. „Ich hätte nicht gewusst, was ich mit ihr reden sollte. Und das noch ein Leben lang. Es ging für mich nicht.“, erzählte er. Das Miteinander reden, das war und blieb für meine Eltern eine Grundfeste in ihrem gemeinsamen Leben. Meine Mutter wiederum löste sich von ihrer Liaison, der Mann hatte gehofft, sie mit der Aussicht auf ein gediegenes Leben als Beamtengattin zur Ehe bewegen zu können. Er fand einige Zeit danach noch eine Frau, Jahre später nahmen sich beide das Leben. 

Nach nur wenigen Monaten verlobten sich meine Eltern, sehr zum Unverständnis ihres Umfeldes. Auch Willy, welcher einst die hübsche Kollegin wohl für eine amouröse Laune angepriesen hatte, prophezeite ihnen keine Zukunft. Freunde und Verwandte unkten, zu ungleich seien sie doch als Paar: mein Vater zwei Jahre jünger als meine Mutter, er Tapetenverkäufer, sie studiert, das passe doch nicht. Allen Bedenkenträgern zum Trotz blieben meine Eltern ein Leben lang zusammen. Sie inspirierten einander, teilten Gedanken, Lebenswünsche und -formen. Mit allen Schwierigkeiten, die damit einhergingen. So holte mein Vater alle Schulabschlüsse nach, machte Abitur, da war ich schon geboren. Studierte später und wurde Lehrer.

Aber zur Zeit der Verlobung standen die Zeichen noch gegen meine Eltern. Nicht jedoch für sie selbst. Und natürlich sollte es etwas Besonderes werden. Für meine Mutter, welche aus einem armen, aber sehr gebildeten Haushalt kam, stand fest: verlobt wird sich in Paris. Sie war durch und durch frankophil, hatte sich aus der großen Armut ihres Arbeiterviertels im Ruhrgebiet und dem Patriarchat ihres Vaters hervorgearbeitet und träumte von der großen weiten Welt des Stils und der Eleganz, dessen Zentrum damals Paris war. 

Verlobung in Paris

Also fuhren Inge und Wolfgang im September 1964 vom engen Bottrop ins weite Paris und suchten nach einem Laden mit den zarten, schmalen Goldringen, welche damals in Deutschland völlig unüblich, in Paris jedoch zum Arrangement einer feinen Ehe gehörten. Sie fanden ihn und ließen sich vom Inhaber ausführlich beraten. Deutsche waren damals in Frankreich nicht gerade willkommen, aber dieser Herr nahm mehrere seiner edlen Schmuckschachteln und schob sie unter ausführlichen Erklärungen auf seiner Vitrine hin und her. Nicht um Ringe zu zeigen, nein – die Schatullen standen für europäische Länder und er zeigte seine Vision eines zukünftigen geeinten Europas. Mein Vater sprach kein Französisch, meine Mutter übersetzte und so lauschten sie den Ausführungen dieses Herrn, welcher den beiden jungen Deutschen schlussendlich nicht nur die ersehnten Ringe verkaufte, sondern ihnen auch – als einstiger feindlicher Nation – die Hand reichte und zeigte: es geht nur gemeinsam.

Abends wollten die glücklichen Frischverlobten den Anlass gebührend feiern. Sie hatten sich dazu mit einem ehemaligen Verehrer meiner Mutter verabredet, welcher – inzwischen mit einer Französin verheiratet – für eine deutsche Firma in Paris arbeitete. 

Sie trafen sich und Lou nahm die beiden mit zu Les Halles, den einstigen legendären gläsernen Markthallen von Paris, denen Emile Zola in seinem Buch „Der Bauch von Paris“ ein bleibendes Denkmal gesetzt hat. 

Der Bauch von Paris

Das Trio feierte von der Abenddämmerung bis zum Sonnenaufgang. Nicht so sittsam, wie man das gemeinhin von einer deutschen Verlobung in den 60er Jahren erwartet hätte, nein. Während in den Abendstunden die Händler ihre Ware einpackten und sich die Cafés und Restaurants in den Hallen füllten, zogen die drei von einem Etablissement zum nächsten. Die Freudenmädchen eines ansässigen Bordells gesellten sich zu ihnen, bewunderten den schönen Ring an der schmalen Hand meiner Mutter, freuten sich, tranken mit ihnen, gingen zwischendurch arbeiten, um dann wieder mit den Dreien und weiteren Gästen ausgiebig zu trinken. Bei aller Freude ließ Lou allerdings durchblicken, dass er von der neuen Liebe nicht ganz begeistert war. Die Eifersucht packte ihn ein wenig, aber schwer schluckend musste er das Glück anerkennen. Als schließlich am Morgen die Händler wieder ihre Stände aufbauten, die Waren aufpackten, der Lärm in den Hallen unbeschreiblich wurde, die Metzger, mit schweren Schweinebäuchen über den Schultern oder lebenden Ziegen an der Leine, das Fleisch ausluden, da beschlossen alle, es wäre Zeit nach Hause zu gehen. Spontane Gäste, die Damen und meine Eltern verabschiedeten sich voneinander mit Freudentränen in den Augen. Paris war ein Fest und so ging es erfüllt wieder zurück ins graue Bottrop. 

Als ich diesen Text geschrieben habe, lebte meine Mutter noch. Meine Eltern erzählten mir jeweils ergänzende Nuancen ihrer Verlobungsgeschichte. Während mein Vater sehr präzise war, schmückte meine Mutter Begleiterscheinungen aus, so wie es ihrem Naturell entsprach. Sie wünschten sich beide, ihren 60. Verlobungstag gemeinsam feiern zu können. Dazu kam es nicht mehr, meine Mutter verstarb im Juli.

Als der 21.10.2024 kam, feierten wir mit meinem Vater diesen Tag und tranken auf das Wohl ihrer langen Beziehung und Liebe.

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