Hin und wieder kontrolliert auch so eine kreative Seele wie ich, ob die Steuer schon gemacht, die Wurst im Kühlschrank schon Blasen schlägt und die Ausweise noch aktuell sind. Dabei fiel mir auf: Reisepass ist seit zwei Jahren abgelaufen. Personalausweis beendet sein Dasein im November. Mit dem Wissen um die großzügige Terminlage beim deutschen Amt, buchte ich einen Termin beim Bürgerbüro. Also: versuchte ich. Es war natürlich bei dem in meiner Nähe keiner frei. Ich wählte eine Telefonnummer, bei der ich dann mit der “2” meinen Terminwunsch bestätigen sollte und nachdem ich dann zweimal aus der Leitung geworfen wurde (dafür stand also die 2) hatte ich tatsächlich einen lebenden Menschen in der Leitung, der sehr nett war und mir alles Erforderliche nannte und den Termin buchte. Fehlte noch das wichtigste: die Passfotos. Wenn möglich á la Hollywood.
Der Profifotograf
Das Glück schien mir hold. Ich war – mit dem weltbesten Fotografen an meiner Seite – nun endlich in der beneidenswerten Lage, mir ein Passfoto vom Profi erstellen zu lassen. Bedeutet: keine Augenringe mehr, Zeit die Haare schön zu legen, das zarteste (nicht zu viel, denn Behörden verstehen keinen Spaß) aber schönste aller Lächeln aufzulegen, um für die nächsten zehn Jahre endlich mal bei Kontrolleuren jeglicher Couleur gut dazustehen. Voilà!
Der Fotograf nahm die Profikamera, ich stand eine gute Zeit im Bad – Haare, Make-up, alles vom Feinsten – und dann wurde mit Profi-Equipment und Profi-Bearbeitungstool das Werk vollbracht. Und es ward gut, sprach die Dame des Hauses. Was nicht selbstverständlich ist. Denn, so sagt der Profi sehr oft: ich sei in all seinen Jahren mit Abstand, weit abgeschlagen vor all den anderen schwierigen Menschen vor seiner Kamera, der allerschwierigste. Ich muss gestehen: er hat recht. Ich bin die Zensur, strenger als die Inquisition, wenn es um die Auswahl meiner Fotos geht. Auf gut Deutsch: Ich nerve. Und zwar wie die Hölle.
Das Amt
Aber diesmal war ich zufrieden. Die Passfotos strahlten Souveränität aus, die Faltentiefe war nicht kraterartig und der Teint mehr Urlaub als Maloche. Als der große Tag kam, wo sich in der Frühe auch für mich die Tore des Bürgerbüro öffneten, war ich geradezu aufgeregt. Das hatte zweierlei Gründe: zum einen wollte ich triumphierend mit meinen Passfotos glänzen, zum anderen überfällt mich jedes Mal, wenn ich zu einer Behörde muss, eine gewisse Nervosität. Was völlig irrsinnig ist. Ich führe aus behördlicher und strafrechtlichter Sicht ein völlig unscheinbares Leben: Ich habe mir nie etwas zu Schulden kommen lassen, habe keine Punkte in Flensburg und auch keine Steine geschmissen. Aber ich bin als kreativer Geist mit manchen Systemen völlig überfordert. Und so starrte ich schon morgens in der U-Bahn auf die mir gegebenen Daten: Eingang B, Wartebereich 03, Nummer E1556, Uhrzeit 08:30h. Ich versuchte es auswendig zu lernen, in der Angst, ich könnte mich nicht zurechtfinden und vor einem gestrengen behördlichen Auge blöd dastehen. Wenn gute Bürger souverän mit ihren Dokumenten von Ebene zu Raum eilen und wissen wo der Stempel hingehört, ich aber verloren auf Anzeigentafeln starre und meinen Einsatz verpasse. Long story short: meine Nummer erschien, ich sprang auf und fand ohne Umwege meine Sachbearbeiterin. Eine vollautomatische gläserne Schiebetür öffnete sich leise und ein weicher Behördenteppich ebnete mir den Weg zu meiner glanzvollen Passfotoübergabe.
Das Amtsdrama
Lässig stand ich am ergodynamischen Arbeitstisch der Sachbearbeiterin, bis die Stimme der Frau K. meine Träume von Germany´s Next Top Passfoto jäh unterbrach: “Hm, tut mir leid, aber das System sagt, ihr Kopf ist zu klein.” Ich erstarrte. “Wie, zu klein?” “Naja, das Bild ist gut, alles prima, aber der Kopf füllt das Bild nicht genug aus. Haben Sie das selbst gemacht?” Ich stammelte: “Ist von einem Fotografen….” Der Profifotograf wollte mich eigentlich begleiten, hatte aber zu diesem Zeitpunkt ein aushäusiges Shooting und das rettete ihm in diesem Moment das Leben. Frau K. war hilfsbereich: “Sie können gerne nach Hause fahren und das noch einmal bearbeiten und vergrößern lassen. Dann kommen Sie halt nochmal. Oder Sie gehen zum Laden gegenüber und lassen schnell Passfotos von sich machen. Ich warte so lange auf Sie.” Der letzte Satz benebelte mich vollends. Ich war ja eh schon völlig außer mir. Und jetzt sagt eine Amtsperson, dass sie auf mich warten würde. Warten. Auf mich. Während ich das Amt verlasse, die Straßenseite wechsle, Fotos machen lasse, zahle, wieder durch die Schiebetür und über den Teppich gleite, wartet sie freundlich auf mich. Dieses Angebot wog schwerer als die misslungenen Passfotos.
Die Sendlinger Foto Dealer
Ich eilte also aus dem Gebäude, hinaus auf die Straße, überholte andere Bürger, an deren Unterhaltungen ich hören konnte, dass sie auch zu diesem einen kleinen Fotoladen pilgern wollten, sprang über die Straßenabsperrung und ergatterte mir in dem Laden, der aus zwei kargen Zimmern und drei geschäftstüchtigen jungen Leuten bestand, die Poleposition. “Da ist der Spiegel.”, sagte einer der drei. Davor lag ein alter Kamm. Bei Locken nutzlos. Ein Blick in den Spiegel sagte mir: Das wird ein Desaster. Ich hatte mich, da ich nach einer verletzungsbedingten wochenlangen Auszeit mal wieder zum Sport wollte, nicht geschminkt. Und ich kann euch sagen: mit Mitte 50, in der Früh, bleicher Haut und Augenringen, ist das nicht der günstigste Moment für Passfotos. Jetzt war es zu spät.
Das Trio war eingespielt. In der insgesamt dreiminütigen Sequenz schoss der Fotograf in 5 Sekunden vier Passfotos: “Einmal lächeln. Bisschen lächeln darf man.” Und übergab mich seiner Kollegin, die zwischen den zwei Räumen im Treppenabsatz schon die Fotos auf dem Bildschirm hatte: “Welches von den vieren gefällt Ihnen denn am besten?”, lächelte sie routiniert. Als ob es da eine wirkliche Wahl gegeben hätte. Ich blickte entsetzt auf den Monitor und wählte von den vier beschissenen Optionen die am wenigsten beschissene. “Das hätte ich auch genommen.”, flötete sie. Und schon stand ich bei Typ Nr.3, der mir das Geld abnahm. Ich rechnete hoch: 3 Minuten á 14€. Und das im Durchlauf. Da soll mal einer sagen, die jungen Leute von heute wären nicht geschäftstüchtig.
Die königliche Unterschrift
Zurück bei Frau K. fühlte sich weder das Gleiten der Tür noch der weiche Teppich so schön wie eingangs an. Sie wartete tatsächlich und vertrieb sich die Zeit an ihrem Handy. Mit meiner Laune im Keller überreichte ich ihr die Passfotos. Mit einer Person drauf, die in realitas wahrscheinlich viel, aber in meiner Selbstwahrnehmung nichts mit mir zu tun hatte.
Nachdem ich einige Male meine Fingerabdrücke digital erfassen lassen musste und ich diverse Unterschriften geleistet hatte, kam – so Frau K. – das große Finale. Ich sollte nochmals unterschreiben, auf einem großen umrandeten digitalen Feld. Ich unterschrieb ergeben und Frau K. schaute mich mit großen Augen an. Ich war irritiert: “Ist was nicht in Ordnung?” “Sind Sie denn zufrieden?”, fragte sie. “Naja, die Fotos sind jetzt nicht das Gelbe vom…” Sie unterbrach mich: “Ich meine die Unterschrift.” “Wie, meine Unterschrift? So habe ich doch die ganze Zeit…” Frau K. unterbrach wieder milde: “Wissen Sie, manchen wiederholen ihre Unterschrift mehrmals. Bis sie finden, dass sie schön genug ist.”
Da erlebe ich einen traumatischen Vormittag, weil mein Traum von einem Passfoto á la Hollywood jäh geplatzt ist, muss mich mit Sendlinger Hinterhof Knipsern und meinem aschfahlen Konterfei arrangieren und es gibt Menschen, die im Bürgerbüro an der Schönheit ihrer Unterschrift feilen.
Willkommen im deutschen Amt.
Fotos: Wolf Heider-Sawall