Bei Hitze gibt es zwei Möglichkeiten: ab an den See mit Eis und im Gepäck und Pommes an der Bude. Oder in ein Museum gehen. Letzteres ist nicht immer die erste Wahl, weil Kunst und Kultur in der Rezeption manchmal etwas anstrengend sind. Zumal wenn Hitze das Hirn vernebelt. Macht viel Arbeit – wusste schon Karl Valentin. Und wenn dann noch kirchlich-religiöse Artefakte auf dem Programm stehen, vermeint man bereits im Vorfeld antiquierten Mief zu riechen. Dass der Freisinger Domberg mit seinem Dom und dem 2022 neueröffneten Diösezanmuseum, kurz Dimu Freising, allerdings so ein Erlebnis werden würden- damit hatten wir in unseren kühnsten Kultur-Träumen nicht gerechnet.
Der Weg zum Domberg
Der Weg vom Bahnhof ins Freisinger Zentrum ist kurz – der Vorteil einer Kleinstadt. Und schön noch dazu – was man nicht von jeder Kreisstadt behaupten kann. Es fällt auf: überall kleine inhabergeführte Geschäfte, die Menschen gehen langsamer, ratschen mehr, das Tempo ist deutlich heruntergefahren. Wir Münchner fühlen uns wohl. Für Fußkranke und Faule gibt es einen Lift hoch zum Domberg. Da Lifte von meinen 82-jährigen Vater und passionierten Bergwanderer nur im äußersten Notfall genehmigt werden und meine zwei angebrochenen Zehen nicht unter einen solchen fielen, liefen wir natürlich den Domberg hoch. Vorbei an kleinen Häusern, einem Bach und sehr süßen Cafés. Der Domberg ist in seiner Gesamtgestaltung unglaublich gelungen und wunderbar renoviert. Kleine Häuser mit dicken Mauern, sehr schöner Blumenschmuck und hohe Bäume, ein Gymnasium und das Dimu Freising bilden sozusagen einen Ring um den Dom. Um der Hitze zu entkommen, wollten wir nur einen kurzen Blick in selbigen werfen. Der Dom St. Maria und St. Korbinian, frühere Kathedralkirche und ehemaliger Bischofssitz, bevor er diesen Rang an den Münchner Liebfrauendom verlor, ist auf den ersten Blick eine dieser typisch überladenen Kirchen aus der Zeit des Hochbarock. Tatsächlich aber beherbergt er eine fantastische Ausstellung, deren Besuch wir nur ans Herz legen können.
Männer und ihre Machtspiele
Es geht um Männer und Macht. Auf den ersten Blick scheint der Titel keine große Überraschung zu bergen, wenn man sich die (Kirchen-)Geschichte der letzten Jahrtausende anschaut. Aber diese Ausstellung ist so hervorragend und vor allem kurzweilig aufbereitet, dass man meint einem kultur- und religionshistorischen Krimi zu lauschen.
Die Sonderausstellung des Diözesanmuseums und der Domkirchenstiftung Freising zum 1.300-jährigen Bistumsjubiläum “724. Männer. Macht. Geschichten” widmet sich dem Wechselspiel von geistlicher und weltlicher Macht. Der Rundgang führt in mehreren Stationen über den Domberg und stellt dabei nicht nur die historischen Örtlichkeiten vor, sondern auch 24 Männer, die hier gewirkt haben und den Ort mit ihrer Persönlichkeit und männlichem Machtanspruch prägten – von Herzog Grimoald, der den Wanderbischof Korbinian im Jahr 724 nach Freising holte, über Heilige, die trotz aller Heiligkeit den eigenen Sohn der Macht opferten, bis hin zu Konrad von Schroffenberg, dem letzten Fürstbischof des 1803 untergegangenen Hochstifts Freising.
Ausstellung der Extraklasse
Wer hier eine Ausstellung im herkömmlichen Sinne erwartet, wird positiv überrascht: Im Mittelpunkt steht der Dom, den die Gebrüder Asam vor 300 Jahren neu gestalteten. Erschlossen werden daneben auch zentrale Räume des Dombergs, die bislang der Öffentlichkeit verborgen waren, wie der Fürstengang, die barocke Dombibliothek, die Obere Sakristei oder der durch eine Geheimtür gesicherte Archivraum. Man bewegt sich frei durch all diese Räume und trifft überall auf beleuchtete Stelen, die in Kurzform auf einen historischen Aspekt hinweisen. An jeder Stelle findet sich ein QR-Code – aktiviert man ihn, öffnet sich ein Audioguide. Offen gestanden, bin ich kein Freund von Audioguides. Ich fühle mich jedesmal von meiner Umgebung abgeschnitten, wenn ich die Kopfhörer aufhabe und den oftmals pastoral-belehrenden Stimmen lausche…Aber dieser Audioguide ist ein Genuss der Extraklasse. Mit dem eigenen Handy bewaffnet kannst du dich locker durch die Räume bewegen und dabei der herausragenden Stimme von Adele Neuhauser lauschen, welche uns auf eine informative, dabei aber sehr heitere Weise in alle Ränkespiele der mächtigen Herren einweiht. Und man meint das ein oder andere Mal leichte Ironie in ihrer Stimme zu hören…ein Genuss! Und wer den Geschichten noch einmal daheim lauschen möchte: kein Problem. Hier hat das Dimu Freising eine eigene Seite für eingerichtet: https://mediaguide.dimu-freising.de/soa.html
Nach einer Stunde, in der wir treppauf, treppab den Dom und all seine Hinterzimmer durchlaufen hatten, war es Zeit für eine Rast unter kühlen Bäumen. Der Foodtruck versorgte uns mit dem nötigen Kraftstoff für die nächste Kulturetappe. Und die wurde zu einem unerwarteten Erlebnis…
James Turrell und seine Lichtkapelle/A Chapel for Luke
Betritt man das Dimu Freising, wird man förmlich von der Lichtinstallation des amerikanischen Lichtkünstlers James Turrell in den Bann gezogen. Der Kontrast der strahlend weißen Wände des Museums zu dem fluoreszierenden Licht, welches in wechselnden Farben aus der Kapelle strahlt, ist hypnotisierend. James Turrell, inzwischen 81 Jahre alt, widmet sein gesamtes Schaffen der Auseinandersetzung mit den vielfältigen Erscheinungsformen von natürlichem und künstlichem Licht. Geboren 1943, wuchs er in einer streng religiösen Quäker Familie auf. Seine Großmutter sagte immer während der religiösen Versammlungen zu ihm: “Gehe in dich, um das Licht zu begrüßen.” Mit seinen Werken erforscht er dabei die Grenzbereiche der menschlichen Wahrnehmung von Licht, was wir auf faszinierende Weise erleben durften.
Als Turrell 2014 das Diözesanmuseum besuchte, wählte er die Hauskapelle des ehemaligen Freisinger Knabenseminars als Ort für seine Installation. Bezug nehmend auf das Freisinger Lukasbild, die bedeutendste byzantinische Ikone in der Sammlung des Diözesanmuseums, die die Jungfrau Maria darstellt und die der Überlieferung nach vom heiligen Lukas selbst gemalt wurde, nannte Turrell sein Werk “A CHAPEL FOR LUKE and his scribe Lucius the Cyrene”. Architektonisch liegen das Lukasbild und die Lichtinstallation auf derselben Blickachse.
Wir begrüßen das Licht
Das Werk setzt Turrells Ganzfeld-Serie fort, ein Titel, der sich auf den meteorologischen Effekt bezieht, der durch dichten Nebel oder Schneesturm entsteht und bei dem der Mensch nicht in der Lage ist, die Grenzen des Raums wahrzunehmen. Man erlebt einen vollständigen Verlust der Tiefenwahrnehmung. Soweit der physikalische Effekt. Das physische und psychische Erlebnis, wenn man die Kapelle betritt und tatsächlich die Orientierung in diesem kleinen Raum verliert, ist anfangs irritierend, fast sogar beängstigend. Lässt man sich nach einigen tiefen Schnaufern auf die Wirkung der Orientierungslosigkeit ein, bekommen die wechselnden Farben eine meditative Wirkung. Der meditative Zustand wird verstärkt, wenn man sich dabei vor die kreisrunde Vertiefung an Ende der Kapelle setzt, welche einem Altarbild gleicht. Der Geist sucht nach Antworten…fühlt sich so Ewigkeit an? Diese Installation mach deutlich: der Mensch kann sich Unendlichkeit nicht vorstellen, denn wir kennen nur Begrenzungen von Leben und Formen. Die ersten Empfindungen sind Angst und Überforderung. Gehen dann über in einen unbekannten Zustand der Schwerelosigkeit. Aber der Geist darf Ewigkeit denken und leben. Und vielleicht wären wir dann auch mutiger? Ein Besucher war so unerschrocken und ging laut singend durch die offenliegenden Rundgänge. Seine Choräle hallten durch das gesamte Museum. Besucher und Museumsangestellte bleiben stehen und lauschten…
Das Dimu Freising hat natürlich auf seinen drei Ebenen noch viel mehr zu bieten. Aktuell in Kooperation mit dem Haus der Bayrischen Geschichte die Ausstellung “Tassilo, Korbininan und der Bär. Bayern im frühen Mittelalter”, welche ebenfalls sehr gut kuratiert ist und welche man auch gut mit Kindern besuchen kann. Unnötig zu sagen, dass natürlich viele Räume mit unzähligen kirchlichen und religiösen Artefakten bestückt sind – ob man die alle im Detail betrachten möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Architektonisch sehenswert ist die Bibliothek im 2. Stock – ein moderner, holzvertäfelter Raum, mit ausreichender Lektüre und einem edlen langen Lesetisch ausgestattet.
Kiki Smith und Mary´s Mantle Chapel
Nach einer weiteren kulinarischen Stärkung im Museumscafé mit einem wunderschönen Blick auf die im Tal liegende Stadt und die sie umgebende Landschaft, stießen wir zufällig beim Verlassen des Domberges auf die von der amerikanischen Künstlerin Kiki Smith gestalteten Mary´s Mantle Chapel. Sie ist frei zugänglich und liegt seitlich des Dimu Freising. Ich habe selten so eine moderne, kleine und dabei so atmosphärisch ergreifende Kapelle gesehen. Der Schutzmantelmadonna gewidmet, hat Kiki Smith hier in Zusammenarbeit mit Brückner & Brückner Architekten einen Ort der Ruhe und Besinnung geschaffen, der mit wenigen, dafür umso ausdruckstärkeren Details eine Symbiose von Kirchen- und Meditationsraum bildet. Der Mond im einzigen hochgelegenen Kirchenfenster, Symbol der Weiblichkeit und des Unbewussten, ein tiefblau gewebter Sternenmantel, eine goldene Taube, Sterne, die auf die brennenden Kerzen zu fallen scheinen – ein Kunst- und Kirchenerlebnis. Unbedingt anschauen.
Auf dem Heimweg konnten wir noch die Füße in der Stadtmoosach kühlen und danach im anliegenden Rosengarten uns durch die Blüten schnuppern und treiben lassen. Das Dimu Freising, die Altstadt und sein Domberg sind einen Tagesausflug allemal wert.
Fotos: Wolf Heider-Sawall