Marianne Wille – ein Leben mit drei Seiten

Marianne Wille im Gespräch über Liebe, Dankbarkeit und Humor.
Marianne Wille Dallmayr Stadtlocke
Marianne Wille in ihrem Garten in München

Mit dem Namen Marianne Wille können die meisten von uns auf Anhieb nicht viel anfangen – mit dem Namen Dallmayr umso mehr. Familie Wille gehört, zusammen mit der ebenfalls in München ansässigen Familie Randlkofer, der berühmte Delikatessen- und Kaffeehandel. Wer in den Genuss von Mariannes handgeschriebener Weihnachtskarte kommen durfte, sah auf dem Foto die Großfamilie Wille – das Ehepaar Wille, drei Töchter samt Ehemännern und insgesamt neun Enkelkindern. Man blickt in natürliche und offene Gesichter. Und ich liege bestimmt nicht falsch mit meiner Behauptung: dieses familiäre Fundament hat Marianne Wille mit Herz, Tatkraft und Bodenständigkeit gelegt. Darüber hinaus ist Marianne bestens in Kultur, Politik und Münchner Kreisen vernetzt, eine kluge Frau ohne Allüren, dazu eine hervorragende Texterin mit einer langjährigen Kolumne in einer Münchner Tageszeitung, eine Kennerin der Kunst und immer für einen guten Witz zu haben.  

Das Gespräch in voller Länge könnt ihr am Sonntag, 07.04.24 von 9h bis 11h auf Radio C Luxemburg in unserer neuen Sendereihe “People and Culture” anhören.

Herzlich Willkommen Marianne Wille bei Stadtlocke, dem Online-Magazin für Kultur, Menschen und Stadtgeflüster. Liebe Marianne, auch erfolgreiche Menschen müssen abends ins Bett und morgens aufstehen. Wie sieht die erste Stunde deines Tages aus?

Grüß dich, liebe Susanne. Ich freue mich auch sehr, dass wir hier zusammensitzen. Als erstes lese ich noch im Bett digital meine Zeitung, dann mache ich für meinen Mann und mich Frühstück und wenn er dann in die Firma gefahren ist, mache ich Dehnungsübungen für den Oberschenkel. Also ich lege mein Beinchen auf´s Geländer und strecke – seitdem ich das mache, geht es mir deutlich besser. Dann trinke ich meinen Tee und los geht’s in den Tag.

Denkst du, Rituale sind wichtig, um gut durch den Tag zu kommen? Ziehst du Kraft aus Ritualen?

Ich denke schon – und vielleicht ist es tatsächlich so, denn ich möchte auch nicht auf mein morgentliches Zitronenwasser und den Kräutertee verzichten. 

Die Zuhörer unserer wöchentlichen Radioshow Nightflight auf Radio C Luxembourg wissen, dass wir immer von daheim, sozusagen unserem „Küchenstudio“ senden. Jetzt dürfen wir hier bei dir in deiner wunderschönen Küche sitzen und mit einer unglaublich jugendlichen Frau das Gespräch führen – liebe Marianne, dürfen wir dein Alter verraten? Und von dir ein paar Tipps bekommen, wie man so lebendig und agil bleibt? 

Ich habe keinerlei Hemmungen, was mein Alter betrifft. Ich bin 73. Den Tipp mit dem Beinchenstrecken und dem Zitronenwasser kennst du ja jetzt. Außerdem trinke ich keinen Alkohol: das halten meine drei Töchter für den Grund meiner sprudelnden Energie. 

Es scheint, als hättet ihr eine sehr enge Familienbindung. Ich erinnere mich an die Weihnachtskarte, die du uns geschickt hast, auf welcher ihr als Familie mit Schwieger- und Enkenkindern abgebildet seid. Ihr strahlt allesamt eine große Wärme und starken Zusammenhalt aus. Eure drei Töchter sind alle im Unternehmen tätig, du allerdings warst nie ins operative Geschäft bei Dallmayr eingebunden. Warst du die Stimme der Vernunft am heimischen Tisch?

Das kann man so sagen. Ich habe alles zuhause geregelt, während sich mein Mann im Unternehmen tätig war. Ich habe sozusagen die Kinder großgezogen – natürlich war mein Mann da, aber zeitlich sehr stark in die Firma eingebunden. Wir hatten nie ein Kindermädchen oder Au-pair, ich war mit den Kindern von morgens bis abends zusammen. Und ich muss im Nachhinein sagen, dieses old fashioned Modell hat sich bei uns sehr bewährt. Wir haben einen Bomben-Familienzusammenhalt – bis heute. Ich war auch über 20 Jahre überhaupt nicht im Gesellschaftsleben verankert, erst mit unserem Umzug nach München und als die Töchter ins Studium gegangen sind, fing ich an, mich stärker in andere Themen einzubringen. 

Gab es Situationen, wo du dich für dieses Lebensmodell erklären musstest? 

Nein, das musste ich nie. In meiner Generation haben das ja noch viele so gemacht und wir in unserer Familie haben das auch gerne gelebt. Heute wäre das bestimmt anders. Meine Töchter sind alle berufstätig und sie könnten es sich auch gar nicht anders vorstellen. Aber sie brauchten oder brauchen halt auch immer jemanden für die Kinderbetreuung – oder eben mich, die Großmutter, als Joker in der Not. Sonst ist es nicht machbar. Meine Töchter erinnern sich sehr gerne an ihre Kindheit und haben es geliebt, dass wir immer zusammen am Tisch sitzen konnten. Man darf dieses Modell nicht verteufeln, es ist schön, wenn Kinder eine feste Bezugsperson zu Hause haben. Heutzutage ist das aber oftmals gar nicht mehr machbar, weil aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten beide Elternteile gezwungen sind, arbeiten zu gehen. Sie können gar nicht wählen. Wir sollten viel weniger über die Lebenskonzepte anderer Menschen urteilen, weil wir gar nicht wissen, welchen Herausforderungen sie ausgesetzt sind. 

Dallmayr verbindet man sehr stark mit München. Ihr habt aber dennoch sehr viele Jahre außerhalb gelebt, sehr ländlich, dein Mann ist jeden Tag gependelt. 

Wir haben 20 Jahre auf dem Land gewohnt. Mein Schwiegervater hatte dort die Jagd gepachtet, die nach seinem Tod auf meinen Mann und mich übergegangen ist – wir sind beide Jäger. Die Ruhe auf dem Land habe ich im Nachhinein als ideal empfunden, auch für das Heranwachsen unserer Kinder. Die Kinder waren dort draußen auf der Schule, nachmittags waren sie auf den Bauernhöfen mit anderen Kindern am Spielen, sind mit Tieren aufgewachsen, wir waren viel in Vereinen, ich habe dort Tennis gespielt und so meinen Ausgleich gefunden. Erst in den 90er Jahren sind wir dann nach München gezogen. 

Als du uns vorhin dein schönes Haus gezeigt hast, haben wir über die Bedeutung von Dankbarkeit und Demut gesprochen. Eine Frage, die ich immer wieder sehr gerne stelle, ist die nach persönlichen Werten. Gibt es Werte, die dich durch dein Leben begleiten und vor allem auch tragen, wenn du vor Entscheidungen stehst?

An erster Stelle steht für mich die Liebe. Und Demut und Dankbarkeit gehören für mich auch dazu. Jeden neuen Morgen bin ich dankbar für mein Leben in Freiheit. Für all das Gute, was mir im Leben widerfahren ist. Ich bin 73 und finde es wahnsinnig wichtig, ein Leben lang neugierig zu bleiben. Denn wenn man sich immer wieder für Neues interessiert, kann man auch nicht so ganz alt werden. Einfach freundlich sein, dem anderen nicht mit Misstrauen zu begegnen, sich hineinzuversetzen in seine Lage, was könnte hinter seiner Geschichte stehen – das alles finde ich sehr wichtig. Und unglaublich wichtig finde ich Humor, weil er mit Leichtigkeit Brücken baut: Gleichzeitig kann man mit Humor viel distanzierter auf Dinge schauen und nimmt sie vielleicht nicht mehr so tragisch. 

Du hast einen Verein gegründet…

Richtig, 2010 haben ich gemeinsam mit anderen einen Verein gegründet, der hieß damals Komische Pinakothek, aber diesen Namen durften wir  nicht weiter benutzen, denn die Pinakotheken fanden es nicht so lustig und namentlich zu nah an ihrer Institution. Wir haben dann den etwas technischen Begriff „Forum Humor und Kunst“ genommen und wollen in München unbedingt ein Museum für den Humor gründen, denn nirgendwo würde es besser hinpassen als hier. Es gibt Valentin, Loriot, Polt, unglaublich viele großartige Leute. Es gibt zwar das Valentin-Karlstadt-Musäum, aber wir bräuchten eine größere Repräsentanz. Der Humor ist ein hohes Gut, denn er kann offen nur in einer Demokratie gelebt werden – in einer Diktatur darfst du dich nicht lustig machen. Da fällt mir noch ein Wert ein, den man nicht unterschätzen sollte: Genügsamkeit.

Du bist in Oberfranken geboren, aber in München aufgewachsen. Wie kamst du in unsere schöne Stadt?

Mein Vater hatte sich in München selbstständig gemacht und als die Firma gut lief, die Familie nachgeholt. Da war ich ein Jahr alt. Vielleicht mag das für den ein oder anderen witzig klingen, wenn ich von Genügsamkeit spreche, aber ich habe viel Zeit bei meiner geliebten Großmutter verbracht, die sehr sparsam, genügsam und trotzdem dem Leben geöffnet war. Meine Oma war Schneidermeisterin und ich fand es großartig, wie sie ihren Lebensunterhalt verdient und alles auf die hohe Kante gelegt hat. Es gab keinen besonderen Luxus, aber die menschliche Wärme war einfach da und das ist das Entscheidende. Ich bin in München-Pasing aufgewachsen, später auf ein sozialwissenschaftliches Gymnasium zur Schule gegangen. Sozialkunde, Politik, das waren Fächer, für die ich mich begeistern konnte.

Du bist studierte Betriebswirtin, hättest aber eigentlich gerne Journalismus studiert. Dein Vater hat es dir ausgeredet, warum bist du der Stimme deines Vaters gefolgt?

Deutsch war in der Schule immer mein Lieblingsfach, ich habe für die Schülerzeitung geschrieben, Theaterstücke verfasst. Nach dem Abitur war die Journalistenschule mein Traum, aber mein Vater meinte, die Aufnahmeprüfungen seien so schwer und eine Glückssache. Betriebswirtschaft hingegen erschien ihm als Selbstständigen eine solide Sache. Und er meinte, da wären auch die besseren Ehemänner zu finden. (lacht)

Hättest du die Nachfolgerin in der Firma deines Vaters werden sollen?

Nein, für diese Position stand schon mein Bruder fest. Aber dem Schreiben bin ich mein Leben lang treu geblieben – ich bin eine derjenigen, die auch heute noch mit Füller und Tinte Briefe schreibt. Man gibt etwas von sich und würdigt das Gegenüber, wenn man sich diese Mühe macht. Ich werde oft gefragt, ob ich für Geburtstage etwas schreibe oder singe. Dann kam Facebook und ich hatte eigentlich keine große Lust auf die neue Technik, aber meine Töchter bestanden drauf, es mir zu erklären und dann wurde mir schnell klar, daß ich es nicht missen möchte. Es ist doch wie mit so vielem: was wir daraus machen, ist das entscheidende. Ich habe angefangen, kleine Artikel und Fotos über meine kulturellen Erlebnisse zu veröffentlichen. Und so wurde dann die TZ (Münchner Tageszeitung) auf mich aufmerksam. Eines Tages rief die Gesellschaftsredaktion bei mir an und fragte, ob ich nicht für sie eine wöchentliche Kolumne schreiben möchte. Das war ein toller Moment, ich war 69 und mein Traum, für eine Zeitung zu schreiben, war greifbar nah. Ich habe mich zuhause besprochen, denn wöchentlich eine zweiteilige Kolumne zu verfassen bedeutet auch Druck und Konsequenz. Aber meine Kinder und auch mein Mann haben mich ermutigt. Mein Mann meinte, ich hätte ihn immer unterstützt und jetzt wäre es an der Zeit, dass ich mir diesen Traum erfülle.

Wer deine Kolumne nicht kennt, hat was versäumt. Sie ist mit Wärme und Witz geschrieben, transportiert immer sehr gute thematische Informationen. Und sie endet immer mit „Verliebt in München“. Das bist du nicht nur in deinen Mann, sondern auch in diese Stadt. Was ist für dich das Besondere an München? 

Ich fühle mich schon als Fränkin, aber ich bin in München großgeworden und verwurzelt. Ich liebe diese spezielle bayrische Lebensart, die das Lustige und der Grant, die Tradition und Weltoffenheit vereint. Es ist keine riesige Stadt, eher übersichtlich und ich treffe immer jemanden, wenn ich losgehe. Ich liebe die Wirtshauskultur und bin einer der größten Wiesn-Fans. Ich versäume keinen einzigen Tag.

Ohne einen einzigen Tropfen Alkohol…

Mein Mann fragt sich immer, wie es einem da so gefallen kann. (lacht) Ich würde wahrscheinlich kaputt gehen, wenn ich auch noch trinken würde. Die jährliche Wiesngrippe reicht. Es gibt so viele schöne Jahreszeiten in München, Fasching, die Maidult, Leonhardi…Wir leben in einem landschaftlichen Paradies und München ist mittendrin. 

Wenn du jetzt umziehen müsstest, gäbe es einen Ort, wo du dir vorstellen könntest, auch noch zu leben, dich wohlzufühlen? Eine zweite Heimat?

Meine Eltern hatten vor Jahrzehnten ein Haus in der Nähe von Kufstein gekauft, das ist heute noch ein Zentrum für meine große Familie. Wir sind ja 17 Personen, wenn alle zusammenkommen, da braucht es Platz. Und mit diesem Ort in Tirol bin ich innig verwurzelt und könnte, ohne mit der Wimper zu zucken, sofort hinziehen. 

Magst du uns erzählen, wie du deinen Mann kennengelernt hast?

Sehr gerne. Wir sind jetzt 53 Jahre verheiratet und mögen uns immer noch. Wir sagen es immer wieder, wie schön es ist, wenn man sich im Alter immer noch liebt, denn man geht doch ganz anders in den Tag. Ich war 13 und mein neun Jahre älterer Bruder hatte zusammen mit Wolfgang Wille studiert. Er brachte ihn einmal nach Hause und ich weiß noch genau, wo ich in diesem Moment stand, als er zur Tür hereinkam. Es war Liebe auf den ersten Blick! Es ist sogar schriftlich belegt, weil ich es in meinem Tagebuch eingetragen hatte: Wolfgang Wille stand da auf Nr. 1 meiner Rangliste – auf Nummer 2 kam allerdings der ARD-Nachrichtensprecher… (lacht)

Immerhin war dein Mann in illustrer Gesellschaft. 

Nachdem mein Bruder geheiratet hatte, habe ich Wolfgang dann nicht mehr oft gesehen, da die Verbindung zwischen beiden lockerer wurde. Mein Bruder hatte jetzt eine kleine Familie und Wolfgang war ja noch Single. Mein Mann wusste nichts von meiner heimlichen Liebe zu ihm, die auch ein paar andere Verliebtheiten in der Zwischenzeit überdauerte. Als mein Vater ihn dann zufällig wieder in München traf, lud er ihn zu uns nach Hause zu einer Weinprobe ein, denn mein Vater hatte schon immer mal wieder seinen Wein bei Dallmayr bestellt und so konnten sie beim Kartenspiel beide Vergnügungen miteinander verbinden.

Auch deine Mutter wusste nichts von deiner jahrelangen Schwärmerei?

Nein nur ich, meine beste Freundin und mein Tagebuch. (lacht)

Wie ging es weiter? Wir alle lieben Liebesgeschichten mit Happy End.

Mein Mann kam dann unter einem Vorwand wieder bei uns vorbei und mein Vater wunderte sich schon ein bisschen. Wolfgang und ich sind dann zusammen ausgegangen und dabei spürten wir beide, dass wir zusammenbleiben wollen. 

Ihr seid jetzt über 50 Jahre verheiratet. Über kurz oder lang gibt es immer wieder Herausforderungen, die man bewältigen muss, seien es berufliche oder familiäre. Gab es mal eine sehr schwierige Zeit oder Situation und wie seid ihr da herausgekommen? Gibt es da einen Leitgedanken als Hilfe für Krisenbewältigung, den du unseren Leserinnen und Lesern mitgeben kannst?

Wir nehmen es immer, wie es kommt. Auch wir sind gebeutelt worden, Krisen oder äußerliche Dinge, die auf uns eingestürmt sind, wie den Überfall auf uns in unserem eigenen Haus. Es klingelte eines Abends und als ich öffnete, wurde mir sofort Pfefferspray in die Augen gesprüht. Mein Mann war außerplanmäßig früher nach Hause gekommen und als er mich schreien hörte, kam er mir zu Hilfe. Allerdings überwältigte ihn der junge Mann und schleifte ihn in die Küche. Dies gab mir die Gelegenheit unter lautem Schreien hinauszulaufen und mich zu verstecken. Wie sich später herausstellte, hätte ich entführt werden sollen. Danach sind wir erstmal zu einer unserer Töchter für ein paar Tage gezogen und bekamen polizeipsychologische Behandlung. Was mir sehr geholfen hat in dieser Zeit, war eine junge Polizeipsychologin. Sie sagte zu mir, dass ein Drittel der Menschen nach einem Überfall in ihrem Zuhause überhaupt nicht mehr in diesem Haus leben will, ein Drittel bleibt im Haus, aber fühlt sich nicht mehr sicher und das letzte Drittel wächst an der Sache. Ich dachte mir: Zu diesem letzten Drittel willst du gehören. Es ist ein Credo von mir, die Aufgabe anzunehmen, die sich mir stellt. Und so habe ich mir mein Zuhause wieder angeeignet, es wieder zu meinem gemacht und angefangen, mich wieder wohlzufühlen. Man kann doch alles von einer negativen oder positiven Seite betrachten. Kommen wir wieder zum Humor: Karl Valentin hat gesagt, dass jedes Ding drei Seiten hat. Ein negative, eine positive und eine komische. Ich bin meinem Mann unheimlich dankbar, dass er mir beigestanden ist, und manchmal lachen wir sogar darüber. Es mag merkwürdig klingen, aber es hilft uns. 

Kann man sagen, dass dieses Erlebnis und seine Bewältigung exemplarisch für eurer Miteinander ist? Ihr besprecht und geht die Herausforderungen, das Leben gemeinsam an?

So ist es. Darüber hinaus denke ich, dass die sozialen Medien und Netzwerke oftmals einen sehr negativen Blick auf das Außen vermitteln, aber dass es die Welt nicht besser macht. Man geht nicht unbedingt besser durchs Leben, wenn man sich ständig nur auf das Schlechte vorbereitet. Ich bin mehr dem Guten zugewandt und lasse mich auch nicht durch eine Enttäuschung umhauen. 

Bei Radio C Luxembourg, wo wir immer donnerstags im „Nightflight“ senden, sind lauter Musikverrückte – sowohl die Moderatoren als auch unsere Zuhörerinnen und Zuhörer. Du bist auch musikbegeistert. Man sieht dich oft in der Oper oder auf Konzerten. Teilst du diese Leidenschaft mit deinem Mann?

Musik ist mein Ein und Alles. Schon im Elternhaus bin ich mit Musik aufgewachsen und habe diese Liebe an meine Kinder weitergegeben. Musik zeigt einem einen Blick in eine andere Welt. Mein Mann liebt sie auch, aber hört sie lieber zuhause in Ruhe. Meine Eltern luden ihn einmal zu den Bayreuther Wagner-Festspielen ein. Danach sagte er zu ihnen, also eure Tochter heirate ich, aber nach Bayreuth gehe ich nicht nochmal. (lacht)

Seid ihr viel zusammen tanzen gegangen?

Ich sage immer zu ihm: Das ist das Einzige, was mir bei dir abgegangen ist. Ich liebe es zu tanzen und ich musste früher immer schauen, woher ich einen Tänzer bekomme. Mein Mann ist immer an die Bar geflüchtet, wenn die ersten Takte erklangen. 

Du bist auf sehr vielen Veranstaltungen, meist allein, und berichtest uns dann in deinen Kolumnen von deinen Erlebnissen. Empfindest du es als Verpflichtung oder ist es eine Freude?

Wie ich eingangs erzählt habe, habe ich mich fast 30 Jahre aus dem Gesellschaftsleben herausgehalten. Dann fing ich an, Einladungen anzunehmen und das Ganze nahm an Fahrt auf. Ich habe es sehr genossen und es gab immer sehr positive Resonanz. Allerdings gehe ich meist ohne meinen Mann hin, das ist auch gar keine Diskussion zwischen uns. Er entspannt sich nach einem langen Arbeitstag und freut sich, wenn ich dann nach Hause komme und ihm bei einem Gläschen Wein von meinen Erlebnissen berichte. Ich bin einfach neugierig auf Kultur und Kunst, denn es erweitert die eigene Blickrichtung. Ich greife dabei immer wieder neue Gedanken auf – vom Kunstschaffenden und seiner Epoche. 

Zu jeder Zeit gibt es einen Abgesang auf die Jugend, sie würde verkommen, habe keine Ideale mehr und nur die Alten seien die Fackelträger der Kultur. Wie erlebst und siehst du das? 

Wenn ich in eine Ausstellung gehe, freue ich mich immer, zu sehen, wie viele Generationen vertreten sind. Ich habe neun Enkelkinder und sehe natürlich, dass jede Generation sich weiterentwickelt. Das ist doch auch richtig so, dass sie ihren Fokus verändern. Meine Enkeltöchter z.B. kaufen wahnsinnig gerne Second Hand Kleidung, so versuchen sie nachhaltig zu konsumieren und Kleidung neu zu kombinieren. Es muss nicht immer das neueste Designertäschchen sein. Und ich finde es wichtig, dass die ältere Generation hinhört, was die Jungen bewegt und was sie bewegen. Am Puls der Zeit sein, das ist mir ein Anliegen.

Wie offen bist du neuen Technologien gegenüber? Schaust du es dir kritisch an, eher ablehnend oder nimmst du es für dich – auch in deinem Alltag – an? 

Ich interessiere mich sehr dafür. Kürzlich war ich auf der DLD-Konferenz, die Steffi Czerny über Burda organisiert. Ich konnte unglaublich kluge junge Köpfe kennenlernen, die in ihren Vorträgen die Zukunft von verschiedenen Blickwinkeln beleuchteten. Wir Menschen haben es doch in der Hand, wie wir die Maschinen füttern, ich kann neue Technologien nicht grundsätzlich verteufeln.

Du hast im Rahmen dieser DLD-Konferenz einen interessanten Satz in deiner Facebook Kolumne geschrieben: „Wir haben es in der Hand, den Wandel mitzugestalten und uns nicht vom konstanten Krisenmodus lähmen zu lassen.“ Ich finde den Satz großartig, denn der älteren Generation wird oftmals Stillstand vorgeworfen. Wie gehst du mit diesem Schubladendenken um, welches suggeriert, die ältere Generation wolle alles so belassen wie es ist und nur die Jüngeren wollen den Wandel vorantreiben?

Ich sehe es schon so, dass die Jugend aufgeschlossener ist für neue Technologien. Für den Privatgebrauch benutze ich eine KI-App, aber wie sich AI in die Firma integrieren lässt, überlasse ich der jungen oder mittleren Generation. Ich bin persönlich sehr offen, weil ich anerkenne, dass die Zukunft enorme Entwicklungen in diesem Bereich mit sich führen wird. Es gilt hier Ordnung hineinzubringen. Und tatsächlich finde ich, dass in Deutschland ein Dauer-Gejammer angestimmt wird. Natürlich gibt es wirkliche Kritikpunkte an vielen Ecken und Enden, aber man darf das Positive nicht aus den Augen verlieren. 

An dieser Stelle könnte man an unser vorangegangenes Thema, die persönlichen Werte, anknüpfen: Wie schafft man es, aus diesem inneren Krisenmodus herauszukommen?

Man darf sich nicht lähmen lassen. Da wo es die Möglichkeit dazu gibt, Veränderungen herbeizuführen, es auch zu versuchen. Nicht stehenzubleiben. 

Inwieweit wird bei euch zuhause über die Firma gesprochen? Gibt es da klare Regeln oder dürfen die Themen im Fluss sein?

Da unsere drei Töchter und ein Schwiegersohn in der Firma tätig sind, wird bei uns daheim, oder auch wenn wir am Wochenende im Ferienhaus alle zusammenkommen, sehr häufig über die Firma gesprochen. Aber ich empfinde es nicht als lästig, es ist ja unser Leben und das macht uns Spaß, sonst würden wir es nicht machen. 

Ich erwähnte es bereits eingangs, dass ihr als Familie einen sehr großen Zusammenhalt ausstrahlt und offensichtlich scheinen diese Gespräche ebenbürtig zu verlaufen, selbst wenn es am Ende des Tages einen Entscheidungsträger geben muss, der die Verantwortung trägt.

Dieser Austausch ist uns wichtig, denn so kommt immer von allen Seiten neuer Input. Gerade auch diese kurzen Kommunikationswege innerhalb unserer Firma, können wir zu unserem Vorteil nutzen. Da Dallmayr ja durch unsere und die Familie Randlkofer familiengeführt ist, können wir auf kurzem Wege schnell Dinge besprechen und das ist in heutigen Zeiten ein großer Vorteil, denn die Firma hat ja eine beachtliche Größe erreicht. 

Hast du deinen Mann manchmal auf Geschäftsreisen begleitet oder habe ihr diese Bereiche strikt getrennt?

Bei seinen vielen Geschäftsreisen innerhalb Deutschlands habe ich meinen Mann nicht begleitet, außer die Reise war in ein besonderes Programm eingebettet. Wo ich allerdings sehr oft mitgefahren bin, waren die großen Reisen in die Ursprungsländer unserer Kaffeelieferanten, wie z.B. nach Neuguinea, Kenia, Guatemala oder Mexiko. Das waren großartige Erfahrungen, teilweise abenteuerlich, wenn wir erstmal Urwaldflüsse befahren mussten, um in die entlegenen Dörfer zu kommen. Wir waren meist mehrere Wochen vor Ort, um uns einen genauen Überblick zu verschaffen.

Magst du uns ein bisschen von eurem besonderen Charity Projekt erzählen?

Dallmayr ist weltweit größter Bezieher von äthiopischem Kaffee. Wir führen einen der besten Kaffees der Welt, den Hochlandkaffee. Dieser wächst ausschließlich wild an den Hängen des Hochlandes. Im Gegensatz zu konventionellen Plantagen in den Ebenen, auf denen ständig künstlich bewässert werden muss, wächst der Hochlandkaffee wild an den Hängen, wo Bäume Schatten spenden und der Kaffee langsam natürlich reift. Diese Art der Kaffeeernte ist für das natürliche Ökosystem besser und der Kaffee schmeckt daher viel aromatischer. Dieses Land hat mein Schwiegervater entdeckt, welcher damals noch mit dem Esel durch die Bergplantagen geritten ist.

Der Bremer Konrad Wille. 

Richtig. Dadurch, dass wir mit dem Land seit Jahrzehnten verbunden sind und es uns so viel gegeben hat, beschloss mein Mann vor vielen Jahren, dass er etwas zurückgeben möchte. Obwohl wir ihn anfangs für etwas verrückt erklärt haben, ließ er sich nicht davon abbringen, anzufangen, Bäume in den Ebenen Äthiopiens pflanzen zu lassen. Es gab viele gerodete Flächen, die dann verödeten. Mein Mann sorgte dafür, dass Millionen neuer Bäume über die Jahre gepflanzt wurden. Damals sprach nur wenige von der Klimakrise, heute erkennen wir, was für ein Visionär mein Mann war, denn zwei Jahrzehnte später sehen die Ebenen dort ganz anders aus. Wir haben dann auch eine Schule gebaut für über 1000 Schülerinnen und Schüler in der Provinz Dano und zusammen mit dem bayrischen Staat realisieren wir eine große Kaffeekooperative, wo die Schüler nach dem Schulabschluss ihren Kaffee selbst bewirtschaften und verkaufen können. Die Menge Kaffee, die sie nicht verkauft haben, nehme wir ihnen dann ab, so hat die Kooperative immer eine Planungssicherheit. Im Rahmen einer Wirtschaftsdelegation durfte ich vor ein paar Jahren Ministerpräsident Markus Söder dorthin begleiten in seiner Absicht, sich vor Ort einen Überblick der Situation zu verschaffen und wirtschaftliche Kontakte zu knüpfen, denn politische Stabilität wird nur erreicht, wenn die Menschen dort in der Lage sind, sich selbst gut zu versorgen. Bei der Fülle an Programmpunkten war auch ein Vertreter des FC Bayern mit dabei, der dort ein vom Verein initiiertes Stadion eröffnete.

Du bist auch Trägerin des Bayrischen Verdienstorden. Wie kam es zu dieser Verleihung?

Ich muss sagen, ich war zuerst auch etwas überrascht. Aber ich habe mich unglaublich gefreut, als ich den Umschlag aufgemacht habe. Dieses Riesenprojekt mit 50.000.000 neugepflanzten Bäumen, einer Schule plus Kaffeekooperative in Afrika hatte ja mein Mann initiiert, aber da ich damals auf dieser großen Reise mit Dr. Söder dem Ministerpräsidenten vor Ort alles gezeigt und nähergebracht habe, war es ihm offensichtlich ein Anliegen, mich als Frau für dieses Projekt zu auszuzeichnen. Ich habe diesen Preis stellvertretend für die Firma entgegengenommen und sowohl meine Kinder als auch mein Mann waren sehr stolz und haben sich mit mir gefreut. 

Wie blickst du auf das Altern, auf euer gemeinsames Alter, du und dein Mann? Ist es etwas, vor dem du dich fürchtest und nimmst du es wie es kommt und machst das Beste draus?

Manchmal kann man sich schon fürchten, wenn man rundum hört, wen welche Krankheit befallen hat, das kann man nicht ignorieren. Aber andererseits: das Alter ist wahnsinnig demokratisch, denn es trifft fast jede und jeden. Ich bin einfach unglaublich dankbar, dass ich mit meinem Mann und meiner Familie alt werden kann. Was Besseres kann mir nicht passieren, denn ich bin geborgen. Ich habe mich auch nie für die Schönheit operieren oder Botox spritzen lassen. Jeder kann es handhaben, wie er will, aber ich persönlich finde, dass viel mehr Wert auf die innere Haltung oder Ausstrahlung gelegt werden sollte. Ich habe mal gelesen, wie wichtig die sogenannte Mikromimik ist, damit einen das Gegenüber einschätzen kann. Die Kinder, unsere Enkelkinder brauchen unsere Mimik, wenn sie sich noch nicht durch Sprache richtig mitteilen können. 

Magst du uns zum Schluss dieses Gesprächs einen Leitspruch mitgeben, den unsere Leser für sich mitnehmen können?

Ich hatte ja bereits Karl Valentín zitiert: Das Leben hat immer eine positive, eine negative und eine komische Seite. Darüber hinaus: sich in das Gegenüber hineinversetzen, erstmal seine Sicht der Dinge anhören und die Beweggründe für sein Tun versuchen zu verstehen. Verständnis und Liebe. Die Liebe ist das allerwichtigste, ich habe diese Liebe von meinen Eltern erfahren und konnte sie an meine Familie weitergeben und die Liebe ist es, die mich trägt.

Herzlichen Dank für deine Offenheit, liebe Marianne, und dieses wunderbare Gespräch. 

Fotos: Wolf Heider-Sawall

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Comments 3
  1. Zwei wunderbare Frauen, klug und warmherzig, im ernsthaften Gespräch.
    Ich habe das sehr gern gelesen und die schönen Fotos angeschaut und schaue sie immer noch an.
    Es hat mich auch nachdenklich gemacht: Marianne, du hast drei Töchter erzogen! Was für eine Leistung!
    Aber auch Susanne hat zwei großartige Kinder, wie du sicher weißt. Wie das Leben so spielt…
    Ich wünsche Euch allen Friede und Freude, Gesundheit und Glück.
    So eine Unternehmerfamilie ist schon ein Wahnsinn.. man muss sehr stark sein.. kein Schlaraffenland, obwohl Dallmayer das vorspiegeln könnte..
    In diesem Sinne – bin ich stolz auf Euch starke Frauen! Ich zähle mich selbst auch dazu.
    So long,
    Eure Madlon

    1. Liebe Madlon, ich bedanke mich sehr für deine wertschätzenden Worte! Und ich kann mich dem nur anschließen: Marianne, du – eine Liga von starken, im Leben stehenden Frauen! Und auch du leitest das Familienerbe tatkräftig, umsichtig und klug!

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