Geburtstag ist schön…

Ein Geburtstag am See. Mit Familie, Kunst und Stille.
Geburtstag Tegernsee Stadtlocke
Blick von Tegernsee

…macht aber viel Arbeit.

Ich weiß: Karl Valentin hat sich in seinem unsterblichen Zitat auf die Kunst bezogen, aber ich habe mir erlaubt, den Großmeister des feinen Irrsinns frei für eigene Befindlichkeiten zu interpretieren. Mit Geburtstagen verhält es sich doch so: Macht man viel, hat man die meiste Arbeit und ist gestresst. Macht man nichts, bekommt man auch genauso viel. Nämlich nix. Außer am Tegernsee. Da bekommt man viel. Nämlich einfach, indem man still durch die Natur geht.

Fahrt an den Tegernsee

Da ich weder im Alltäglichen noch im Besonderen eine geneigte Gastgeberin bin und mir meine Ruhe mein liebstes Gut ist, beschloß ich, Eventualitäten wie Überraschungsbesuchen geschickt aus dem Weg zu gehen. Eine frühzeitige Fahrt an den Tegernsee erschien mir die beste aller Lösungen. Und mit früh meine ich auch früh: Um sieben Uhr saßen wir im Zug nach Gmund. Wolf, mein Vater und mein Sohn. Denn ich wollte auch nicht ganz ohne eine gewisse Feierlichkeit durch diesen Tag gehen, wies er doch eine kleine Besonderheit auf, die mir schon morgens die Tränen in die Augen trieb: Es war mein erster Geburtstag ohne meine Mutter.

Ruhe am Morgen mit König Ludwig und Kerze

Um 4:45h saßen also Wolf und ich auf dem Balkon und genossen unser tägliches Ritual: Frisch gekochten Cappuccino aus dem brodelnden Siebträger mit cremigem Milchschaum, den Wolf mit einem Kakaoherz garniert. Ich zündete ein Teelicht an, welches um diese Uhrzeit sogar ein kleines Licht warf. Packte die ersten Geschenke aus, darunter ein Shoppinggutschein, viel Liebe und die Biographie von Marita Krauss über Ludwig I., Bayerns großen Monarchen, dem wir so viel an Kultur und Architektur zu verdanken haben. Ich dachte daran, wie mir meine Mutter immer Pfingstrosen auf den Geburtstagstisch meiner Kindheit gestellt hatte, frisch gepflückt aus dem Garten und deren Duft für mich untrennbar mit kindlicher Vorfreude verbunden blieb. Als Erwachsene, wenn meine Eltern aufgrund der Entfernung nicht zu meinem Geburtstag kommen konnten, kaufte ich sie mir manchmal selbst, nur um das Gefühl der Freude wieder hervorzuholen. Jetzt auf dem Balkon schaute ich auf meine kleine Kletterrose und sah den Vögeln in der Tränke beim Baden zu.

Kitsch as Kitsch can – der Tegernsee

Die Fahrt zum Tegernsee ist immer wieder eine Fahrt ins Bilderbuchland. Wenn man früh genug unterwegs ist, um den Touristenscharen aus dem Weg zu gehen. Um acht Uhr, gerade wenn in Gmund das Café Wagner öffnet, ist der richtige Zeitpunkt, um dort für eine frische Butterbrez´n und einen Kaffee einzulaufen. Danach ging´s hoch zum Tegernseer Höhenweg, vorbei an malerischen Bauernhäusern, üppigen Rosenstöcken und äsenden Kühen. Ein paar Einheimische mähten bereits den Rasen oder luden uns ein, ihre Fensterläden mit anzumalen.

Luxus beginnt mit Stil

Der Höhenweg, welcher freundlicherweise unter der Woche und in aller Herrgottsfrüh wenig frequentiert wird, endet an einem wunderschönen Luxushotel. Immer bildete ich mit ein, einmal dort für ein paar Tage zu residieren, um auf der wunderschönen Terrasse ein Frühstück mit Blick auf den See zu genießen. Dieser Geburtstag erschien mir geradezu geschaffen zu sein für ein Quentchen Glück und Luxus. Also liefen wir auf die Terrasse. Die Aura der Anwesenden war weit entfernt von Eleganz und ich bin inzwischen sehr empfindlich, was oberflächliche Statusattribute anbelangt. Ich sah eher Futtern als Genuss. Viel Rolex und dicke Bäuche. Mehr Schein als Sein. Der Weg zur Rezeption wurde von feisten Menschen flankiert. Die Mitarbeitenden des Hotels hingegen – feine Ausstrahlung, professionelles Verhalten. So auch an der Rezeption. Die Empfangsdame zeigte mir die verschiedenen Wohnwelten und wies darauf hin, dass man etwas laufen müsse. Ich war verwirrt – lagen die einzelnen Häuser in einem anderen Teil von Tegernsee? Sie verneinte und erklärte mir, dass alle Häuser nebeneinander lägen, aber manche Gäste eben nicht ein Haus wechseln möchten, um zum Frühstücken zu gehen. Herumschauend dachte ich mir, das würde dem ein oder anderen aber gut tun… Ein Paar stand neben mir, freudlos dreinschauend und rechnete. Ich schaute verstohlen rüber und sah, wie es jede einzelne Position ihres Aufenthalts überprüfte und im Nachgang nun mehrere davon storniert haben wollte. Die junge Rezeptionistin bestätigte professionell-freundlich mehrere Nachlässe, welches das Paar sofort mürrisch nachrechnete. Das reichte mir, um zu wissen: in diesem Haus haben die Mitarbeitenden Stil und Benehmen – aber leider nicht viele Gäste. Und damit legte ich meinen Traum von der Tegernseer Luxusabsteige freiwillig zu Grabe und stellte fest, dass meine Definition von Luxus sich individuell und hin zum Einfachen entwickelt hatte.

Das Olaf Gulbransson Museum in Tegernsee

Weiter ging es zu einer morgendlichen Stärkung mit steifer Seebrise und einem alkoholfreien Drink. Und schließlich zum kulturellen Highlight: das Olaf Gulbransson Museum.

„Picasso, Beckmann, Turner und andere. Geschichten, die das Meer erzählt“ – die neue Sonderausstellung im Olaf Gulbransson Museum Tegernsee lockt bereits seit Anfang März, aber bevor sie am 20. Juli endet, wollten wir es endlich schaffen, diese ganz besondere Sammlung von Werken zum Thema Meer anzuschauen.

Das Meer kommt an den See, so ist das Anliegen Michael Becks, Vorstandsvorsitzender der Olaf Gulbransson Gesellschaft e.V. Tegernsee (OGG) und hat damit erneut eine eine fulminante Ausstellung nach Tegernsee gebracht. Wie bei seinen vorhergehenden Ausstellungen stammen die Werke aus Privatbesitz. Es ist das Motiv, das die unterschiedlichen Leihgaben vereint: Das Meer steht im Mittelpunkt der Bilder. Sie stammen von verschiedenen Künstlern, aus vier Jahrhunderten. Die ältesten Werke stammen aus dem 17. Jh. Da ist ein Canaletto (eigentlich: Giovanni Antonio Canal, 1697–1768), oder da gibt es „Dutch Ships Underway in a Moderate Breeze, from the Anchorage off Vlieland”, aus der Zeit um 1645, von Willem van de Velde dem Älteren (um 1611–1689). Der jüngste Künstler ist Heribert C. Ottersbach (geb. 1960), einer der wichtigen deutschen Zeitgenossen. Das jüngste Bild wurde 2019 von Pedro Cabrita Reis (*1956) gemalt. Er wiederum ist einer der wichtigsten Künstler Portugals. Sein Werk nennt er Os desenhos da maré baixa #4, also Zeichnungen bei Ebbe und Flut. Mancher Leihgebende hatte sich sehr intensiv mit seinem Bild auseinandergesetzt, so dass es darum für ihn wichtig ist, wie der Besucher die Bezeichnungen verstehen kann.

Es sind große Namen dabei, wie Henri Matisse, August Macke, Emil Nolde oder Egon Schiele und es sind zauberhafte Werke zum Verlieben dabei. Zum Erwerb fehlt mir das nötige Kleingeld und es steht zu Vermuten, dass die Besitzer dieser wunderbaren Werke sich aktuell nicht davon trennen wollen würden. Denn es sind Künstler von Weltruhm und in dieser besonderen Kuratierung einzigartige Werke zu sehen.

Stille am See, dem Meer und auf dem Balkon

Wolfs wurde von Emil Noldes Sonnenuntergang am Meer in den Bann gezogen, mein Sohn verfiel der schönen Strandbesucherin von Max Beckmann und ich mochte die totale Reduzierung des Meeres von Helen Frankenthaler und Nicolas de Staël. Wenn ihr diese Ausstellung noch nicht gesehen habt, holt es schnellstmöglich nach. Ein herzliches Dankeschön auch an Sonja Still, Kulturjournalistin und Presseverantwortliche des Olaf Gulbransson Museums für die Gelegenheit, das Museum kostenfrei besichtigen zu dürfen. Und als Geburtstagskind durfte ich mir noch eine Karte aussuchen: natürlich Nicolas de Staëls Marseille – selten habe ich ein so eindringliches und hypnotisierendes Blau gesehen wie in diesem Bild.

Als wir mittags aus dem Museum in die gleißende Sonne traten, wurden wir nicht nur vom Licht, sondern auch von touristischen Menschenströmen geblendet. Die ursprüngliche Idee, in Tegernsee essen zu gehen, begruben wir. Ein jeder fuhr zu sich nach Hause und auch den abendlichen Plan, sich wieder zum Essen wieder zu treffen, verwarfen wir. Luxus ist, keine Pläne erfüllen zu müssen, sondern nach innerer Lust und Freude entscheiden zu können.

Und so endete der Geburtstag mit dem großen Luxus, ihn in Ruhe samt herzhafter Brotzeit auf dem heimischen Balkon abschließend feiern zu können.

Fotos: Wolf Heider-Sawall

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