Michael Pendry – Mit Herz und Tauben: Kunst, die Menschen verbindet

Michael Pendry über seine ikonografische Kunst, die Menschen zusammenbringt.
Michael Pendry und Stadtlocke
Michael Pendry und Stadtlocke im Münchner Werksviertel

Auf Herz und Tauben: Michael Pendry weiß um Fluch und Segen des Erfolgs. Vor allem, wenn dieser einem Kunstwerk zu verdanken ist, dessen Name für die Menschen eins mit dem Künstler ist. Les Colombes, die Origami-Tauben, sind als immersive Installation um die Welt gezogen und haben Tausende von Menschen zum Träumen gebracht. Dabei hat Michael Pendry als Künstler noch viel mehr zu bieten, denn seine Inspirationen holt er sich aus all den Bereichen, in denen er schon gearbeitet hat: Theater, Design, Psychologie, Architektur. Aber eines ist ihm wichtig: Kunst muss berühren. Und sie darf schön sein.

Herzlich willkommen Michael Pendry, Multimediakünstler aus München hier bei Stadtlocke. Wir freuen uns sehr, dass wir dich in dieser hektischen Vorweihnachtszeit in deinem wunderschönen Atelier besuchen dürfen. Deine Räume hier im Münchner Werksviertel sind industriell gehalten, gleichzeitig hast du Kerzen für uns angemacht und wir sitzen inmitten von duftenden Tannen. Du liebst also offensichtlich Gegensätze?

Herzlichen Dank, dass ihr mich in meinem bescheidenen Atelier besucht. Und ja, ich liebe Gegensätze. Ich bin jemand, der es trotz industriellem Charme heimelig braucht.

Ich möchte zu Beginn auf zwei deiner wichtigsten Projekte, die mit am meisten Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erhalten haben, zu sprechen kommen. Das ist zum einen Les Colombes und dann Heart. Fangen wir mit Les Colombes an – den Origami-Tauben, dein immersives Kunstprojekt, welches in namhaften Kirchen auf der ganzen Welt ausgestellt wurde. Hunderte von Papiertauben werden von unterschiedlichen Menschen für dein Projekt gefaltet, von ihnen mit Wünschen und Gedanken beschrieben, von dir mit Licht und Sound versehen, um dann ein als Gesamtinstallation die Menschen überall auf der Welt zu bewegen… 

Die Kunstchefin der Erzdiözese München-Freising Andrea Elisabeth Lutz wollte unbedingt ein Projekt mit mir machen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch nie Projekte in Kirchen realisiert und wollte es ehrlich gesagt nicht wirklich. Aber nach ein paar gemeinsamen Treffen und viel Überzeugungsarbeit ihrerseits hat sie mir ein unfassbar tolles Angebot gemacht. Vor allem: sie hat mir vertraut und freie Hand gelassen: „Ich gebe dir nichts vor.“, meinte sie. Das war und ist mir sehr wichtig: mich von nichts und niemandem kaufen zu lassen. Sie stellte mir zwei Orte zur Verfügung: die Heiliggeistkirche am Viktualienmarkt und St. Maximilian an der Isar. Ich habe mich für den Viktualienmarkt entschieden, weil ich diesen Ort für mein Projekt spannender und herausfordernder fand. Er liegt mitten in München und war für mich dadurch eine Herausforderung, da ihn alle Münchner kennen. Ich setze mich also zwei Wochen jeden Tag in die Heiliggeistkirche und wusste erstmal nicht, was ich machen sollte. Irgendwann fiel mein Augenmerk auf die Tauben am Hauptaltar, die auch von den Brüdern Asam in ihren üppigen Stuckarbeiten wieder aufgegriffen worden waren. Danach beschäftigte ich mich mit der Symbolik der Taube, also welche historische und kirchliche Bedeutung sie hat. Aber natürlich auch der heutige sehr bedeutende Kontext der Taube als Symbol für Friede und Hoffnung. Im kirchlichen Kontext der Heilige Geist, welches für mich ein sehr abstrakter Begriff ist und schwer zu greifen… Deshalb habe ich mich auf die Symbolik des Friedens und der Hoffnung konzentriert und dann versucht dies in meine Formen und meine Bildsprache zu übersetzen. 

Wie dürfen wir uns das vorstellen? Wie kommst du zu den Tauben? Hast du mühsam jede einzelne selbst gefaltet, variiert die Anzahl je nach Ausstellungsort?

Als ich mich für die Form der Papiertauben entschieden hatte, habe ich nach einer Falttechnik gesucht, die passt und gut umzusetzen ist. Wir haben verschiedene Versionen ausprobiert und uns dann für eine entschieden. Es war klar: Wir brauchen ein paar Tausend und wie kommen wir zu ihnen?! Mein Team und ich haben angefangen, die quadratischen Papierblätter im Freundeskreis zu verteilen. Egal wo wir unterwegs waren – in Restaurants oder Bars – wir hatten immer Papier dabei und haben Menschen gefragt, ob sie mit uns Tauben falten wollen. Daraus entstanden Workshops und die Menschen fingen an, ihre Hoffnungen, Wünsche und Ansichten auf die Blätter zu schreiben. Es wurde ein richtiger Selbstläufer. Wo auch immer wir dieses Projekt aufbauen, animieren wir als bewusste Interaktion Menschen dazu, ihre Taube zu falten und uns mitzugeben. So wächst dieser Schwarm von Ort zu Ort. Es sind inzwischen über dreitausend Tauben. Wir haben große Boxen, da werden sie gestapelt verwahrt oder reisen in diesen mit uns um die Welt, bis sie wieder aufgehangen werden. Sie fliegen um die Welt. 

Les Colombes wurde an namhaften Orten wie in London oder New York gezeigt. Du gehst also auch dort auf die Menschen zu und bittest sie, Tauben zu falten?

Das mache ich tatsächlich. Aber ich nehme natürlich auch die bestehenden mit. Viele von ihnen hänge ich seit zehn Jahren immer wieder auf, sie sind wie alte Freunde, über die ich mich freue, wenn ich sie wiedersehe. Ich nehme eine in die Hand und denke: ‚Ah, dich kenne ich doch!‘ Ich weiß, welche Wünsche und Hoffnungen mit ihnen um die Welt fliegen. Und genauso schön ist es, wenn uns Menschen vor Ort neue Tauben falten und mit ihren Sehnsüchten versehen. 

Gab es schon mal jemanden bei dir gemeldet und dir erzählt, dass einer seiner Wünsche in Erfüllung ging?

Das nicht, aber es gibt immer wieder Menschen – z.B. in München, wo Les Colombes bereits drei Mal aufgebaut wurde – die zu mir kommen und sich bedanken. Die sich bedanken, dass „die Tauben wieder da sind“. Die mir spiegeln, wie emotional berührt sie sind. Oder sie haben Tränen in den Augen, wenn sie meine Installation sehen. Les Colombes ist eine sehr einnehmende Installation, sie kreiert eine besondere Atmosphäre, die die Menschen ergreift. 

Erzähle uns von den Orten, wo deine Tauben schon überall hingeflogen sind…

Von München ging es nach Jerusalem auf den Berg Zion in eine alte Benediktinerabtei. Dann weiter nach London in die berühmte St. Martin-in-the-Fields Kirche, welche vor allem für ihre herausragenden Konzerte bekannt ist. Die nächste bedeutende Ausstellungsstätte war die Kathedrale von Salisbury, eine der größten gothischen Kathedralen Englands und ein sehr mystischer Ort. Die Ausstellung war insofern hier sehr besonders, da kurz zuvor der Giftanschlag auf den ehemaligen russischen Agenten Sergei Skripal und seine Tochter 2018 verübt worden war. Skripal und seine Tochter überlebten zwar, aber der Nowitschok-Anschlag hatte die Stadt fast lahmgelegt, es herrschte große Angst und Verunsicherung. Mein Projekt ging durch die Decke, denn die Installation wurde für die Menschen in Salisbury ein Ort der Hoffnung und des Friedens. Durch Les Colombes gerieten wieder positive Nachrichten aus Salisbury in die öffentliche Wahrnehmung. Durch die vielen Presseartikel wurde man dann in San Francisco auf mich aufmerksam und so wurde Grace Cathedral zu meiner nächsten Station. Weiter ging es nach New York an die Fifth Avenue direkt neben das Guggenheim Museum und von da nach Washington DC.

All das sind weltbekannte Ort, fast allesamt Kirchen. Aber dein Kunstwerk wurde auch als Installation an Privatpersonen, bzw. Firmen verkauft.

Die Evolution dieses Projektes ist sehr spannend. Die Idee von den Tauben, die Grenzen überwinden und von Land zu Land fliegen, überträgt sich auch auf die Installation. So ergab sich eine Kooperation mit Nymphenburg Porzellan. Letztes Jahr haben wir für die Art Edition Nymphenburg eine Porzellantaube entwickelt, welche jetzt in die permanente Edition aufgenommen wurde. Ich hatte eine Anfrage von einer Kunstberaterin aus San Francisco, die eine große Immobilienfirma als Kunden hatte. Sie wollten für ihr Bürogebäude in Houston, Texas eine große Installation. Dafür hatten sie bereits verschiedene Künstler angefragt. Die wiederum boten In ihren Konzepten meist Skulpturen an. Die Firma aber wollte etwas Raumübergreifendes. So entwickelten wir die Idee, diesmal die Tauben nicht aus Papier, sondern einem haltbaren Material zu machen, denn die Installation sollte bleiben und nicht wieder abgebaut werden. Der Kunde aus Texas fand die Idee großartig und auch, dass eine deutsche Traditionsfirma wie Nymphenburg Porzellan mit involviert ist. So produzierten wir ein paar 100 Porzellantauben und schickten sie nach Houston, wo sie dauerhaft installiert wurden. Danach bekam ich immer wieder Anfragen nach einem dauerhaften Kunstwerk. Woraufhin wir mit neuem Material und einem 3-D-Printer eine Taube aus Acryl entwickelten. Sie wirkt wieder anders als die Porzellantauben. Eine Installation aus Acryl haben wir in Mumbai in einem Private Member Club eingebaut, nachdem ein Architekt die Tauben in London gesehen hatte und meinte, so eine leichte, fließende Skulptur wäre genau das richtige für die Lobby des Clubs. 

Das sind durchaus konträre Orte, an denen deine Installation gezeigt, bzw. eingebaut wurde. Gab es dahingehend schon einmal Vorwürfe? Hat dir schon mal jemand entgegengehalten, du würden dich klerikal oder spirituell vereinnahmen lassen? Oder im Gegenzug: Du hast vorher Les Colombes der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt und jetzt verkaufst du dich und deine Idee an den Kapitalismus?

Was diese Installation anbelangt, sah ich mich lustigerweise nicht mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Ich habe mich auch nie vereinnahmen lassen. Die Tauben waren sowohl in katholischen als auch in evangelischen Kirchen zu sehen. Und im angelsächsischen Raum oder in den USA war wurde es nochmal gänzlich anders aufgenommen. Obwohl die Les Colombes auch dort vornehmlich in Kirchen gezeigt wurden, ging man hier noch offener und emotionaler mit dem Kunstwerk um. Die Menschen kamen dort viel öfter auf mich persönlich zu, mit Tränen in den Augen und bedankten sich. In Deutschland hingegen, vor allem in Bayern ist es mir aber durchaus passiert, dass man mir vorwarf, das Kunstwerk sei ketzerisch und nicht christlich genug, es gehöre nicht in einen kirchlichen Kontext. 

Bei meiner drittgrößten Installation „Der Stern des Südens“, welche eine Auftragsarbeit in Kooperation mit Siemens und Osram war, sah das war das Echo schon ein wenig anders. Vor allem aus Künstlerkreisen. „Der Stern des Südens“ war eine der ersten großen für mich wichtigen Kooperationen mit Firmen, bei denen ich die Ideen und das Konzept geliefert habe. Dieses Projekt war sehr prominent in München und erhielt auch weltweit mediale Aufmerksamkeit. 9000 LED-Lichter wurden dabei auf die Rotorblätter einer Windkraftanlage geklebt, die sich neben der Allianz-Arena befand. Was in einem Satz einfach klingt, bedeutete in der Realität ein Jahr intensiver Planung. Wir benötigten Studien aus dem Windkanal der TU Berlin, wir brauchten Sicherheit beim Kleber, denn die Lichter durften sich bei der Rotation auf keinen Fall lösen. Das Ergebnis war ein flirrendes Lichtrad, welches weit über die Stadt hinaus zu sehen war. Es gab ein großes Budget, das Projekt bedeutete viel Arbeit und wurde dann zu einem großen Erfolg. Hier haben mir Künstler vorgeworfen, das wäre kommerzieller Scheiß. Im Nachhinein habe ich gelernt, dass ich wesentlich höher hätte pokern können und das wäre wahrscheinlich auch bezahlt worden. Aber ich fand das Projekt spannend und habe es sehr gerne gemacht. Ich finde den Vorwurf nur kurios, denn auch der Künstler muss seine Miete zahlen, Butter und Brot auf dem Tisch haben. 

Die öffentliche Wahrnehmung bewegt sich manchmal, was die Verkaufspreise für Kunstwerke anbelangt, zwischen zwei Extremen: Entweder rufen die Erlöse teils utopische Preise hervor oder die Kunstschaffenden wirken schon fast anrüchig, wenn sie mit ihrer Arbeit Geld verdienen wollen. Der Installationskünstler Tizian Baldinger sagte einmal in einem Interview, Kunst sei eigentlich ein Hobby für die Superreichen. Siehst du das auch so?

Meinst du das aus der Sicht der Kunstschaffenden oder aus Sicht der Käufer?

Betrachten wir es doch von beiden Seiten. Aber tatsächlich kochte die Diskussion diesbezüglich kürzlich wieder hoch, als das Werk „Comedian“ des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan für 6,2 Millionen Dollar bei Sotheby´s versteigert wurde. Die an die Wand getapte Banane wurde von dem Krypto Unternehmer Justin Sun erworben. Danach tobt ein gewisser Sturm durch die Szene und fragte nach Sinn und Unsinn und Wertigkeit von Kunst…

Ich persönlich finde Catellan einen großartigen Künstler und das sind eben die Mechanismen des Kunstmarktes. Man muss eben sagen, dass die Kunstwelt auch ein bisschen durch und von diesen Skandalen lebt. Man kann es positiv und negativ sehen. Und man darf nicht vergessen, dass solche Vorkommnisse immer wieder das Augenmerk der Allgemeinheit auf die Kunstwelt richten. Man kann solche Aktionen verurteilen, aber sie zeigen eben auch: Kunst ist viel, sie existiert in vielen verschiedenen Formen. Und Menschen reagieren unterschiedlich darauf.

Soll Kunst Emotionen wecken?

Absolut. Total. Für mich als Künstler liegt darauf momentan mein Augenmerk. Wenn ich merke, ich habe mit meiner Arbeit Menschen berührt, habe ich als Künstler gewonnen. So ist meine Doktrin. Habe ich hingegen die Leute nicht erreicht, dann habe ich mein Thema verfehlt. 

Du bewegst dich im englischsprachigen Raum wie ein Fisch im Wasser, bzw. wie die Taube in der Luft – wenn du mir den platten Vergleich verzeihst. Dein Vater war Engländer, deine Mutter ist Deutsche, du bist zwischen London, Stuttgart und München aufgewachsen, du hast Schauspiel und Bühnenbild studiert, als Bühnenbildner u.a. unter Dieter Dorn gearbeitet, warst Interior Designer, hast dich mit C.G. Jungs Psychologie auseinandergesetzt. Wie bist du von diesem vielfältigen Weg schließlich zu deiner Kunst gekommen? 

Es herrscht immer noch der Glaube, wenn du von der Kunstakademie kommst und ein Diplom in der Hand hältst, dann bist du Künstler. Wenn mich Menschen fragen, was ich beruflich mache, dann antworte ich, dass ich große Projekte im öffentlichen Raum mache. Es hat tatsächlich lange gebraucht, bis ich mich dazu durchgerungen habe, zu sagen, dass ich Künstler bin. Oftmals geht damit sofort eine Wertung oder Verurteilung bei den Menschen einher. Keiner kennt den langen Weg, den ich gegangen bin. Es ist wie ein Puzzle, das sich aus verschiedenen Strömungen, Aktivitäten, die ich gemacht habe, zusammengesetzt hat. Ich habe am Theater gearbeitet und Theater gespielt, architektonische Projekte gemacht, war Kreativchef einer großen Agentur, habe eine therapeutische Ausbildung gemacht. All diese Arbeiten und Projekte waren prägend für mein jetziges Tun. 

In Agenturen oder am Theater hast du ja Vorgaben, es gibt Vorgesetzte oder Regisseure, die klare Ansagen machen. War es der Wunsch nach Freiheit, dass du etwas ganz Eigenes machen wolltest?

All diese unterschiedlichen Dinge bereiteten mir unglaublichen Spaß. Aber tatsächlich war es z. B. am Theater so, dass ich öfters Beef mit der Regisseurin hatte, weil sie Regieangaben machte, die ich nicht nachvollziehen konnte. Ich wollte mich nicht einfach nackt ausziehen und vor dem Publikum stehen ohne einen inhaltlichen Grund. Ich wollte es einfach erklärt haben. Aber so funktioniert halt Regie für die meisten nicht. Und ich wollte mich nicht anbrüllen oder herumschubsen lassen.  Schlussendlich wollte ich selbstbestimmt arbeiten.

Brauchst du mehr die Einsamkeit oder die Gemeinschaft für deine kreative Arbeit?

Spannend, dass du das fragst. Weil das etwas ist, das mich gerade umtreibt. Das ist manchmal die große Herausforderung am Künstlerdasein: Du brauchst die Einsamkeit, um Ideen zu bekommen, die sich auch entwickeln dürfen. Du planst so ein Projekt nicht kreativ am Reißbrett. Das ist Quatsch. Dazu brauchst du inneren Raum. Andererseits bin ich ein totaler Teamplayer, ich brauche Menschen um mich herum, mit denen ich mein Leben und meine Arbeit teilen kann. Und so große Projekte, wie ich sie realisiere, kann man gar nicht allein umsetzen, dazu braucht es ein Team, auf das ich mich verlassen kann. Wenn ich um die Welt reise mit meinen Projekten, tauche ich immer wieder in neue Kontexte ein. Und nicht in jedem ist man mir wohlgesonnen. Da ist es ungemein wichtig, dass du einen Kern von Menschen um dich herumhast, auf den du dich verlassen kannst. 

Kommen wir auf ein Projekt zu sprechen, für die es zwei Ausformungen gibt, eine kleine und eine sehr große, immersiv bespielte: Heart. Warum hast du bei dieser Installation für so ein lebendiges Organ wie das Herz eine kühle, architektonische Gitterstruktur aus PVC- und Stahlrohren gewählt?

Das hat zwei Gründe. Zum einen ist Heart wie Les Colombes ein Kunstwerk, das sowohl für sich stehen als auch in eine Sound- und Lichtinstallation eingebettet werden kann. Daher habe ich nach einem Material gesucht, das neutral ist, Licht reflektiert, wo der Sound durchdringen kann und dadurch immer wieder eine neue Atmosphäre entstehen lässt. Heart gibt es in zwei Ausformungen: eine kleine und eine 5m³ Meter große. Die große Installation pulsiert, das Herz pocht, glüht, brennt, blutet, schlägt, wenn der Sound und das Licht hindurchdringen. Es war aufregend, diese Spanne zwischen dem Architektonisch-Starren und dem Lebendigen herauszuarbeiten und zu verbinden. Auch hier war es Elisabeth Lutz, die mich angesprochen hat, ob ich ein neues Projekt entwickeln möchte. Es ist eine tolle Möglichkeit, wenn dir als Künstler eine Chance gegeben wird, dich in großen Räumen auszuprobieren, dir ein Budget an die Hand gegeben wird, wo du deine eigene Formensprache entwickeln kannst.

Deine Kunst berührt. Zumindest haben dir das Hunderttausende von Menschen auf der ganzen Welt, die deine Installationen gesehen haben, gespiegelt. Es gibt aber auch den Ansatz, dass Kunst weh tun, verstören muss. Bist du schon mal mit dem Vorwurf konfrontiert worden, deine Kunst sei zu gefällig?

Ach, ich habe schon alles gehört. Natürlich den von dir erwähnten Vorwurf oder dass ich gar nicht aussähe wie ein richtiger Künstler. Aber meistens kommen die Menschen auf mich zu, die sich bedankten, dass Kunst wieder schön sein darf. Ich finde nicht, dass Kunst zwangsweise weh tun muss, um eine Wirkung zu haben. Zwar wird das immer wieder mal von Kuratoren oder Museen gefordert, aber ich finde, das ist nur bei politischer Kunst der richtige und wichtige Ansatz. 

Zu Heart gibt es eine besondere Geschichte. Die Missbrauchsbetroffenen der katholischen Kirche kamen auf dich zu und wollten gerne Les Colombes als Symbol für ihr Leiden verwenden. Du sagtest Nein. Warum?

Die Tauben stehen für Freiheit, Leichtigkeit, für das Überwinden von Grenzen. Ich wollte auf keinen Fall die Friedensbotschaft mit so einem schweren Thema behaftet wissen. Ich wollte aber auch nicht abweisend sein und so habe ich mich mit dem Vorsitzenden des Betroffenenbeirates zusammengesetzt und wir sind durch meine Projekte gegangen. Als er Heart sah, war er so berührt, dass ihm die Tränen kamen. Und ich dachte mir, wenn deine Skulptur Menschen so berührt und ihnen zum wichtigen Symbol wird, dann kannst du dich dem nicht verschließen. So haben wir erstmal eine kleine Skulptur gefertigt, ein kleines goldenes Herz, was die Betroffenen auf einer Pilgerfahrt nach Rom zur Papstaudienz brachten. Das steht jetzt hier im Studio, 60 auf 60 Zentimeter groß auf Stahl, vergoldet, bzw. pulverbeschichtet. Es kommt jetzt als Dauerinstallation in die Münchner Frauenkirche und bleibt dort als Mahnmal für das erlittene Leid der Missbrauchsopfer. Aber ich möchte sagen, dass Heart nicht nur auf diese Thematik beschränkt ist, denn die Installation als Serie gibt es schon viel länger und sie wird auch weiterwandern. Aktuell ist sie in Edinburgh als große Skulptur aufgebaut worden und ich plane sie nach New York zu bringen. Dort möchte ich sie auf einem Lastenboot aufbauen und auf dem Hudson River rot leuchten lassen. Und hier im Münchner Werksviertel stand Heart auch schon als großes pulsierendes Herz inmitten der Stadt.

Du hast auf deinen Reisen auch mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet, die vorher noch nie mit Kunst in Berührung gekommen sind.  

Als ich mit Les Colombes in Washington war, war ich zum 50jährigen Jubiläum der German International School als Gastredner eingeladen. Aus Anlass der Feierlichkeiten habe ich mein Projekt vorgestellt, wie man als Künstler arbeitet, mit den Schülern Tauben gefaltet und sie später in einem Raum aufgehängt. Einen Tag später hatte ich noch eine Einladung an eine Schule in einem Washingtoner Problemviertel. An dieser „School without Walls“ arbeitete ich mit Schülern zwischen 8 und 14 Jahren alt. Diese Kinder waren kulturell total unbelastet, sie falteten und redeten und es war eine absolut begeisterte Stimmung. Die Kinder schrieben auch ihre Wünsche und Gedanken auf die Tauben. Zum Schluss kam ein kleiner schwarzer Junge auf mich zu, stolz mit seiner Taube in der Hand. Da stand drauf: „Chick-fil-A is better than McDonalds.” Das war das Schönste und Ehrlichste, was ich je bekommen habe. (lacht) Zum Schluss haben wir die Tauben im Schulflur aufgehängt und alle haben gejubelt und gegrölt. Es war so eine unverfälschte Begeisterung.

Gibt es eine Konstante in deinem Leben, die dir wichtig ist und dir Halt gibt? Das kann alle sein, von materiellen Dingen bis hin zu Menschen, die dich begleiteten. Oder eine Vision, die dich für die Zukunft begeistert.

Auch eine lustige Frage, denn tatsächlich ist es so, dass sich aktuell in meinem Leben ganz viele Bereiche im Umbruch befinden. Und gerade in unsicheren Zeiten ist es definitiv die Familie und sehr enge Freunde, die ich schon seit Schulzeiten kenne. Gerade weil ich so viel gereist bin in den letzten Jahren und so vielen unterschiedlichen Menschen begegnet bin und mich auseinandersetzen mussten, sind mir diese Freunde, die mich so gut kennen, eine wichtige Konstante. 

Gibt es bestimmte Werte, die dir besonders wichtig sind im Leben?

Wir leben in einer Gesellschaft, wo das Streben nach Materiellem und nach Finanziellem einen hohen Stellenwert hat. Aber am Ende des Tages merkt man doch, dass es dauerhaft nicht glücklich macht. Werte wie Loyalität, Beständigkeit und Freundschaft sind mir wichtig. Und was mir immer mehr auffällt: Wir haben so viele Kanäle und Möglichkeiten zur Kommunikation, aber die Leute schaffen es immer weniger, miteinander wirklich zu kommunizieren. Ehrliche und direkte Kommunikation ist ein Wert, der mir immer wichtiger wird. 

Kommen wir nochmal auf deine Kunst zu sprechen: Was ist deine Inspirationsquelle? Oder anders gefragt: Fällt es dir leichter, wenn jemand mit einem Realisierungswunsch auf dich zutritt oder ist es besser für dich, wenn du ein Projekt aus dem Nichts aus dir heraus kreierst? 

Ich glaube, es ist immer eine Kombination aus beidem. Man sitzt nicht einfach an seinem Schreibtisch und überlegt sich, was man so als nächstes künstlerisch anstellen könnte. Manchmal liegt dem auch ein Experiment zugrunde. Wie bei meinen Colorscapes – Farben aus Silikon geformt und wie sie sich durch den Raum entwickeln. Das ist ein Prozess, der sich entwickelt. Manchmal holt man sich Inspiration durch andere Menschen, manchmal lässt man die Dinge auch liegen, bis man wieder neuen Zugang findet. Ich kann gar nicht sagen, was meine größte Inspirationsquelle ist. Aber ich glaube, ich bin ein bisschen wie meine Täubchen, Reisen, Unterwegssein ist mir sehr wichtig. 

Wie leicht fällt es dir, eine Idee diszipliniert zu realisieren? Träumst du lange über der Idee oder schreitest du sofort zur Tat?

Beides. Die Colorscapes z.B. entwickeln sich seit zwei Jahren, begonnen hat es, als ich mit einem Freund Farbe an die Wand geschmissen habe. Daraus formte ich Silikonfarbformen. Für ein weiteres Projekt bin ich seit 14 Jahren in der Planung, ein sehr großes Projekt im öffentlichen Raum für Venedig. Aber, hey, Christo hat für seinen Reichstag glaube ich 20 Jahre Planung gebraucht. (lacht) Ich liebe Venedig und seine Wasserstraßen, sie sind die Adern dieser Stadt. Also überlegte ich mir, die Kanäle blutrot zu beleuchten. Und da diese Stadt möglicherweise irgendwann mit dem steigenden Meeresspiegel untergeht, wollte ich ihr einerseits ein Denkmal setzen und sie so aber auch visuell zum Leben bringen, indem ich ihr Blut durch die Adern fließen lasse. Wir hatten diverse Machbarkeitstests, wir hatten einen Sponsor, der die Prüfung des Vorhabens mitfinanzierte, ich habe mit vielen Technikern ein System entwickelt, wie diese Kanäle unter Wasser beleuchtet werden können, das Ganze wurde sehr groß, auch was die Kommunikation anging. Aber dann sind nach zwei Jahren Entwicklung ein Teil der Sponsoren abgesprungen und wir versuchten es weitere Jahre mit einem neuen Sponsor. Schließlich musste ich das Projekt erstmal beiseitelegen. Allen denen ich von diesem Projekt erzähle, sind begeistert und in Venedig warten viele darauf, dass die Venen ihrer Stadt irgendwann zum Leuchten kommen. Es gibt auch eine lustige Anekdote zu diesem Projekt. Das Projekt stand auf Wunsch der großzügigen Sponsoren unter strenger Geheimhaltung. Wir mussten in einem Copyshop eine Präsentation kopieren für einen wichtigen Termin mit der Commune di Venezia. In diesem Copyshop standen mehrere ältere Damen in weißen Kitteln und bedienten die Kopierer. Meine Pressefrau Francesca bat die Frauen die Präsentation unkommentiert zu kopieren, da wir ein non disclosure agreement unterschrieben hatten, also kein Wort an die Öffentlichkeit. Die Damen fingen an zu kopieren und riefen plötzlich völlig begeistert, wie großartig sie dieses Projekt fänden. Wir versuchten noch die Damen die Bedeutung von Geheimhaltung klarzumachen, aber ihre Freude kannte keine Grenzen. Ich hoffe, dass ich dieses Projekt noch einmal realisieren kann. Es ist immer noch so, dass die Biennale die Kulturhoheit in der Stadt für sich gepachtet hat und damit immer im Streit mit der Kommune Venedig ist, welche auch große Kunstprojekte realisieren möchte. 

Was war die größte Herausforderung, der du dich jemals stellen musstest?

Das bin ich selbst. (lacht)

Nun, beziehen wir es doch mal auf deine Projekte. 

Nun, Spaß beiseite, tatsächlich ist das Leben selbst eine der größten Herausforderungen, aber in Bezug auf meine Projekte war der „Stern des Südens“ die größte von ihnen. Die LED´s auf eine Windrad zu kleben, dass sich mit teilweise 180 km/h am äußersten Punkt des Rotorblattes dreht, keine Lampe durfte sich lösen, wegen der hohen Verletzungsgefahr, die Stromzufuhr für die Lampen, welche über die Rotorblätter erfolgen musste, all das war eine gewaltige Herausforderung. Industriekletterer, welche die Lampen aufkleben mussten, Konflikte mit Sponsoren, den Schirmherren – aber all diese Mühen hatten sich schlussendlich gelohnt, da es ein super erfolgreiches Projekt wurde. 

Brauchst du Musik, um dich für deine künstlerischen Projekte zu inspirieren? Kannst du während deiner Arbeit Musik hören oder brauchst du Stille?

Ich komme aus einer sehr musikalischen Familie, meine Großmutter war Opernsängerin, mein Onkel Komponist und Organist. Als ich klein war, lief immer Musik im berühmten Küchenradio und meine Großmutter sang immer mit. Also läuft bei mir auch immer Musik im Hintergrund. Meine Mitarbeiter schimpfen oft, das wäre ja wie das berüchtigte Baustellenradio – ich aber brauche es. Stille ist für mich eher schwierig. Außer ich bin in der Natur, da genieße ich die Stille. Ich habe Klavierspielen gelernt und wollte auch Konzertpianist werden. In meinen musikalischen Präferenzen bin ich breit aufgestellt, von Mowtown bis Elektro ist alles mit dabei. Wahrscheinlich durch die Prägung meiner singenden Großmutter liebe ich ich große Stimmen – Whitney Houston ist für mich eine der größten überhaupt. Und ich liebe Latinomusik, sie berührt mich. 

Zum Schluss eine Frage an dich, deren Antwort eine Inspiration für unsere Leser sein kann: Wie schafft man es in dieser vorweihnachtlichen Zeit, die oftmals mit vielen Ansprüchen aufgeladen ist, bei sich und man selbst zu bleiben? Den Glauben an sich nicht zu verlieren?

Ich habe ein sehr krisengeschütteltes Jahr hinter mir, aber ich glaube, Krisen gehören zum Leben einfach dazu. Tod und Trennung sind Teil des Lebens. Mein Vater starb vor ein paar Monaten und in vielen Kulturkreisen gibt es dieses Trauerjahr, da wird von dir gar nicht erwartet, dass du normal tickst und deinem Leben nachgehst. Das Wichtigste ist, dass man weiß, dass man in solchen Krisenzeiten niemandes Erwartungen erfüllen muss, dass man – auch von Krisen gebeutelt – völlig in Ordnung ist, wie man ist. Durch Social Media wirkt immer alles auf Hochglanz gebürstet, aber bei all diesen Selbstoptimierungen bleibt doch die Seele auf der Strecke. Wir müssen uns wieder darauf besinnen, dass die Seele Zeit braucht, Gefühle brauchen Zeit zu heilen, das Herz braucht Zeit zu heilen und die muss man sich geben. 

Sind aktuell neue Projekte geplant? Was passiert bei dir im neuen Jahr 2025?

Les Colombes werden im nächsten Frühsommer in Milton Keynes bei London auf einem großen Kunstfestival gezeigt. Das goldene Herz gibt es als feste Installation in der Münchner Frauenkirche und das große Herz wird hier als große Installation im Münchner Werksviertel über der Atelierstraße hängen. Darüber hinaus hoffe ich, dass das Herz irgendwann mal auf dem Hudson River schwimmt. Meine Colorscapes sind natürlich als Wandskulpturen käuflich zu erwerben. Aus der ersten kleineren Serie sind nur noch vier vorhanden. 

Wenn ihr da draußen einen Ort braucht, an dem ihr zur Ruhe kommt, dann besucht eine Installation von Michael Pendry und lasst eure Seele zum Fließen und Träumen bringen. Vielen Dank Michael für dieses schöne Gespräch.

Danke euch.

Fotos: Wolf Heider-Sawall

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