“Die Liebe ist eine Himmelsmacht.”

Liebe
Susanne Graue und Nicole von Vietinghoff-Scheel; Foto: Christian Koch d-light

“Die Liebe ist eine Himmelsmacht.”

Das Motto der 28. Berliner Märchentage war bewusst von Silke Fischer und ihrem Verein Märchenland e.V. als Zeichen für Liebe und Versöhnung in Zeiten internationaler Konflikte, Errichtung neuer Grenzen, von inneren und äußeren Mauern, gewählt worden.

Märchentage? Märchenland? Sollte es jemanden geben, der in Zeiten medialer Überflutung sich noch mit Märchen beschäftigt?

Liebe
Märchenlandbotschafterin Nicole v. Vietinghoff-Scheel, Direktorin Silke Fischer – Märchenland e.V.; Foto: Christian Koch d-light

Als mir Nicole v. Vietinghoff-Scheel von Silke Fischer und dem von ihr gegründeten Verein Märchenland e.V. erzählte, wurde ich neugierig. In einer Zeit wo mediale Unterhaltung selbstverständlichen Einzug in die Kinderzimmer gehalten hat, klang es in meinen Ohren fast schon wie eine anachronistische Institution. Eine Mischung aus Freude, da ich selbst eine leidenschaftliche Märchenliebhaberin und stolze Besitzerin einer Sammlung über Grimm und Andersen hinaus bin, und ein gewisser Unglaube, dass solch ein Verein eine Gewichtung in der heutigen Zeit haben könnte… Hat er. Und zwar vom PC im Kinderzimmer bis in das Berliner Abgeordnetenhaus und die Welt von Polit- und Gesellschaftsprominenz hinein. Aber greifen wir nicht voraus…

Märchenland e.V. und die Goldene Erbse…

Silke Fischer lernte ich persönlich beim MPE Event von Monika v. Pöllnitz-Egloffstein kennen. Meine Freundin Nicole v. Vietinghoff-Scheel, zur Zeit in Stockholm ansässige Kunstmanagerin und seit diesem Jahr auch offizielle erste Märchenland-Botschafterin der nordischen Länder, stellte mich ihr vor und ich freute mich als Bloggerin sehr über Silkes Einladung zur Preisverleihung der Goldenen Erbse. Der Preis wurde in diesem Jahr zum 12. Jahr verliehen.

“Mit dem Ehrenpreis GOLDENE ERBSE werden Persönlichkeiten aus Politik, Medien, Wirtschaft und Gesellschaft geehrt, die mit sozialem und kulturellem Engagement Hoffnung schenken, gegen die Missstände unserer Gesellschaft ankämpfen und die Welt Tag für Tag ein bisschen besser machen.”, so steht es auf der Homepage von Märchenland e.V.. Liest man die Preisträger aus den vergangenen Jahren, so trifft man auf geballte Prominenz aus Kultur, Wirtschaft und Politik: Klaus Wowereit, Peter Maffey, Sabine Christiansen, Iris Berben – um nur einige zu nennen. Und die Preisträger von 2017 waren auch herausragend, und eine davon bot geradezu politischen und kulturellen Zündstoff…

Deutsches Zentrum für Märchenkultur; Foto Christian Koch d-light

Liebe überwindet…

Parallel dazu hatte Nicole v. Vietinghoff eine Ausstellung in der Bremischen Landesvertretung Berlin kuratiert. Ausstellungstitel: “Liebe überwindet Grenzen und bringt Freiheit – Hass errichtet Mauern!” Das Konzept der Ausstellung war inhaltlich dem diesjährigen Thema der 28. Berliner Märchentage “Die Liebe ist eine Himmelsmacht. Märchen und Geschichten von Liebe und Hass.” gewidmet und zeigte 7 nationale und internationale Künstlerinnen und Künstler, die zu diesem Motto gearbeitet hatten: Marion Mandeng, Dörthe Bäumer, Karsten Hein, Genia Chef, Gabor A. Nagy, Georgi Guraspashvili und Jil Mandeng.

Jede Künstlerin, jeder Künstler stellte ein Werk zu dem Thema aus, welches er extra für die Ausstellung konzipiert und gestaltet hatte. Marion Mandeng, eine international anerkannte Fotografin, war so freundlich mich durch die Ausstellung zu führen. Eines wurde schnell deutlich: die aktuelle politische Lage schien sämtliche KünstlerInnen nicht zur Liebes-Euphorie veranlasst zu haben. Obwohl sich wohl jeder nichts sehnlicher wünscht, als dass die Liebe alle Widerstände überwinden möge, zeigten viele Künstler eher einen pessimistischen Blick auf die Möglichkeit der wunderbaren und heilenden Emotion…

Pessimistischer Blick auf die Liebe?

Marion Mandeng “There is a thin line between love and hate”

Marion Mandengs bearbeitete Fotografie “There is a thin line between love and hate” drückt diese Gratwanderung zwischen Liebe und Hass wunderbar bildlich aus. Der Schuh, der sowohl als schicksalshafte Wendung im Märchen “Aschenputtel” bedeutsam ist, als auch als das Symbol für Weiblichkeit und dem Spiel damit gilt, wird multipliziert und in schwarz-weiß gegenüber gestellt. Getrennt werden die konträren Schuhe durch eine dünne silberne Linie, die thin line. Gut und Böse sehen also gleich aus, werden nur durch ihre Farbgebung unterschieden und durch eine kleine feine Barriere getrennt. Sie liegen nah beieinander und können sich – wenn die dünne Mauer bricht – schnell in ihr Gegenteil verwandeln…

Gabor A. Nagy “VERSUS”

Eindrucksvoll auch das Bild von Gabor A. Nagy “VERSUS”. Fast alle kennen den bösen Clown aus der Stephen King Buch-Adaption “Es” – ein Symbol für das Böse schlechthin. Von Weitem sofort erkennbar, wird das Bild aus der Nähe immer verschwommener: der Kopf wird gebildet aus den Wörtern des Textes eines israelischen Bloggers zum Israel-Palästina Konflikt. So sehr man auch zu lesen versucht, die Wörter sind nur bruchstückhaft dem Text entnommen und somit liegt kein Sinn darin. Weil das Böse auch keinen Sinn macht? Weil, so sehr man auch versucht, diesen Konflikt zu lösen, mit oder ohne Worte, mit oder ohne Waffen, keine Lösung greifbar ist? Sondern von der Ferne betrachtet nur eine Bedrohung für alle Menschen, die in diesen Konflikt involviert sind? Dieses Bild ist beeindruckend. Aber es spendet keinen Trost durch Liebe…

Dörthe Bäumer “Anmut von Ähnlichkeit und Differenz”

Dörthe Bäumers Werk “Anmut von Ähnlichkeit und Differenz” hingegen lässt Hoffnung aufkommen. Ein zarter Mädchenkopf, welcher sowohl an klassische Köpfe der Antike als auch zarte Skulpturen aus der Romantik erinnert, zeigt Hoffnung und Stärke. Den Hintergrund bildet eine Wand, an der rote Farbe hinabläuft – Rot, das Symbol für Blut, Liebe, Verlust und und doch auch Kraftgewinn. Der Kopf wandelt sich: erst zart und schüchtern zur Seite geneigt, hebt er sich in Folge und die Frau blickt selbstbewusst und stark in die Ferne. Die Abgewandheit wird zur Präsenz, aus Angst wird Mut, Hass wird zu Liebe…

Mit diesen Eindrücken ging ich aus der Bremischen Landesvertretung und musste ein bisschen schmunzeln. So vertraut war mir die sog. Bremer “Speckflagge” durch meine 25 Jahre in dieser Stadt. Förmlich geflohen bin ich aus ihr nach all den Jahren in mein geliebtes München. Hass und Liebe liegen wirklich nah beieinander…

Gespannt blickte ich der abendlichen Preisverleihung entgegen. Die Namen der Gewinner und ihrer Laudatoren waren ja im Vorfeld bekannt, aber es ist dann eben doch etwas anderes, wenn man sie live am Rednerpult erlebt.

Der Tag der Preisverleihung…

Die Bewahrung des Märchens als Kulturerbe, die universellen Botschaften der Märchen in aktuelle Zusammenhänge zu setzen und öffentlich zu diskutieren, die Inhalte der Märchen im heutigen Bewusstsein lebendig zu halten, das ist das Ziel, welches sich Silke Fischer und Monika Panse mit ihrem Verein Märchenland e.V. gesetzt haben.

Sike Fischer, Nora Tschirner (Preisträgerin) und Caroline Herfurth (Laudatorin); Foto: Christian Koch d-light

Ralf Wieland, der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses hielt die Eröffnungsrede und zitierte Aristoteles: ” Wenn auf der Erde die Liebe herrschte, wären alle Gesetze entbehrlich.”

Seyran Ates und ihre Liebe zur freien Religion

Dieses Motto muss sich die für mich herausragendste Preisträgerin des Abends zu eigen gemacht haben: Seyran Ates, Rechtsänwältin von Beruf und Aktivistin für Frauenrechte und Gleichberechtigung. Sie ist bekennende Muslimin, setzt sich mit all der ihr zur Verfügung stehenden Macht für ein offenes und freies Miteinander ein, um so den Hasspredigern jeglicher Couleur Einhalt zu gebieten. Sie begründete die Ibn-Rushd-Goethe Moschee, in der Männer und Frauen, Transgender und Homosexuelle nebeneinander beten können. Ates wurde Opfer eines Anschlags und erhält nach wie vor Morddrohungen. Sie lebt mit Personenschutz, die beiden Herren beäugten mich genau, als ich Ates später am Abend die Hand schüttelte und mich für ihren Mut, ihre Unerschrockenheit bedankte.

Seyran Ates, Preisträgerin; Foto: Christian Koch d-light

Politisch interessant war Ates´Laudatorin. Eigentlich sollte Peter Müller von der SPD sprechen, der aber aufgrund der geplatzten Koalitionsverhandlungen nicht kommen konnte. Er schickte Sawsan Chebli, jene Staatssekretärin, die die Sexismusdebatte nach Hans-Joachim Kiderlens verunglücktem Kompliment in der Politik neu aufgerollt hatte. Sie steht für einen eher konservativen Islam und die beiden Frauen betonten mehr als einmal, dass sie die Debatte darüber kontrovers aber fair führen. Ein Schelm wer Arges dabei denkt…aber es steht zu vermuten, dass der Berliner Bürgermeister ein kleines Signal setzen wollte, als er Chebli seine Rede zur Toleranz vorlesen ließ…

Die Marmeladenoma und ihre Liebe zum Märchen

Neben der Schauspielerin Nora Tschirner, der Unternehmerin Miriam Mack, dem Journalisten Patrick de Saint-Exupéry wurde auch eine ganz besondere Frau geehrt: die Marmeladenoma.

Wieso er ihr diesen Namen gegeben hat, weiß ihr Enkel Janik auch nicht mehr. Helga, so heißt die rüstige 86-jährige, liest jede Woche vor inzwischen fast 200.000 Abonnenten Märchen auf YouTube vor, mit wachsendem Erfolg. Helga liest und Janik filmt. Entdeckt wurden die beiden vom YouTube Star Gronkh, die Laudatio sollte LeFloid halten, konnte sich aber aufgrund von einer Erkrankung nur per Video in die Verleihung einschalten. Passt aber irgendwie zu einem YouTuber…

Helgas Zuschauer sind zu drei Viertel männlich, 60% von ihnen zwischen 18 und 34 Jahre alt (Quelle Donaukurier, Stand 2017), es scheint also ein Bedürfnis nach den universellen Märchen-Botschaften zu geben, welches sich nicht auf die Kinder beschränkt…

Zwei Stunden heile Märchenwelt durch ein Medium, welches eher nicht für Besinnlichkeit und Innehalten bekannt ist.

Was beweist: wo ein Wille ist, da ist ein Weg.

Oder: wo Liebe ist, da ist ein Weg.

Enkel Janik und die Marmeladenoma Helga, Foto: Christian Koch d-light

 

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Comments 4
  1. Was für ein toller Bericht, liebe Susanne! Es ist so schön, wie authentisch Du schreibst, so hat man immer das Gefühl alles miterleben zu dürfen, richtig dabei zu sein! Danke für all diese wunderbaren Momente, die Du uns schenkst!! <3

    1. Das ist mein Anliegen, diese Veranstaltungen oder Ausstellungen für alle erlebbar zu machen! Schön, dass du es so empfindest liebe Conny!

  2. Das war bestimmt eine beeindruckende Veranstaltung. Jahresthema, Umsetzung durch die Künstler, Auswahl der Preisträger und Laudatoren….und die Marmeladenoma ❤
    Danke Dir für den Einblick.

    1. Liebe Soussen, es war ein sehr beeindruckender Abend und einige Menschen live zu erleben, die man sonst nur über TV oder Internet kennt, war sehr spannend!

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